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Medienfreiheit: Quo Vadis? Christian Mihr am 11.01.2022 im Gespräch mit Dr. Anna Litvinenko

Christian Mihr

Christian Mihr
Bildquelle: Copyright Juliane Halsinger

Anna Litvinenko

Anna Litvinenko

News vom 03.01.2022

Der Friedensnobelpreis 2021 ging an die philippinische Journalistin Maria Ressa und den russischen Journalisten Dmitri Muratov, um ihren Einsatz für Medienfreiheit zu würdigen. In seiner Nobelpreisrede nannte Dmitri Muratov Journalist:innen „das Gegengift gegen Tyrannei“. Wie wirksam ist dieses Gegenmittel heute, wo autoritäre Tendenzen weltweit immer mächtiger werden? Welche Chancen hat Medienfreiheit noch zum Beispiel in Belarus, wo sich die politische Zensur seit den Protesten in 2020 weiter verschärft hat? Sind oppositionelle Stimmen wie Dmitri Muratov von der Novaya Gazeta in Russland noch zu hören? Inwieweit können Sicherheitsmaßnahmen Einschränkungen der Pressefreiheit rechtfertigen, wie etwa im Fall der polnischen Berichterstattung über die Belarus-Krise? Welche Prognosen gibt es für die Medien in Ungarn, wo 2022 ein neues Parlament gewählt wird? Wie hat die Pandemie die Arbeit von Journalist:innen in Konfliktregionen geändert? Und was kann man in demokratischen Ländern unternehmen, um die Medienfreiheit weltweit zu unterstützen?

Über diese Fragen sprach Dr. Anna Litvinenko, wissenschaftliche Mitarbeiterin für digitale Medien an der Freien Universität Berlin, mit Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. Christian Mihr ist Journalist, Menschenrechtsaktivist und Experte für internationale Medienpolitik. Thematisch ist er besonders fokussiert auf Internetüberwachung und Zensurumgehung, Medienpluralismus in der digitalen Welt und Geheimdienstkontrolle im digitalen Zeitalter.

Zu Anfang stellt Christian Mihr zwei bedenkliche, globale Entwicklungen im Bezug auf die Pressefreiheit fest: Zum einen gibt es mehr als je zuvor inhaftierte Journalist_Innn, die sich mit kritischer Berichterstattung befassen. Zum anderen wird die Pressefreiheit auch immer häufiger von Ländern eingeschränkt, welche gefestigtere, demokratische Systeme haben.

Trotzdem gibt es auch positive Entwicklungen weltweit. So beschreibt Mihr das journalistische Schaffen als Sisyphusarbeit, bei der es immer wieder zu Fort- und Rückschritten käme. Pressefreiheit müsse „gelebt und verteidigt“ werden, auf Grund und zum Trotz ihres unbequemen Charakters.

Auf die Frage, was Reporter ohne Grenzen zur Unterstützung von Medienschaffenden beiträgt, antwortete ihr Geschäftsführer, ROG leiste analoge Hilfe, wie das direkte Unterstützen von Angehörigen verfolgter Journalist_Innen, durch den Aufbau von Infrastrukturen, durch finanzielle Hilfe oder auch auf juristischen Wegen. Gerade auch im Kampf gegen Straflosigkeit bemühe sich ROG Strafanzeigen zu stellen bei internationalen Verbrechen gegen die Pressefreiheit. Doch auch digitale Nothilfe werde geleistet, durch digital-forensische Arbeit, da die Stärkere Nutzung von Überwachungstechnik und ihre Konsequenzen immer realer für Journalist_innen werden.

Zur Arbeit ROGs bezüglich im Exil lebender Reporter_innen bemerkt Christian Mihr, dass ROG keine integrative Initiative sei und kritisiert dabei gleichzeitig den Mangel von Integrationsbemühungen seitens deutscher Medien für Exilreporter_innen und das Auslassen von Perspektiven exilierter Menschen. So wurde auch das Integrationsvoluntariat von ALEX Berlin vor einiger Zeit abgeschafft, bemängelt Mihr.

Auch innerhalb der EU ist Pressefreiheit ein umkämpftes Gut. Hier sieht Christian Mihr die Verantwortung vor allem bei der EU selbst, da sie als Rechtsgemeinschaft über Instrumente verfügt, die wirtschaftlichen Druck auf Länder ausüben können, welche sich nicht an die Grund- und Menschenrechte halten. Zudem ist es ihr möglich, Infrastrukturen für unabhängige Medien besser zu stützen und zu schützen. Jedoch gerade im Bezug auf die Situationen von Menschen in Grenzgebieten, wie Polen-Belarus oder Lesvos, deutet Mihr auf die Flüchtlingspolitik Europas, welche aus Selbstzweck die Pressefeiheitseinschränkungen dort mehr als nur toleriert. ROG würde vor allem in Brüssel versuchen Druck aufzubauen, sowie Diskussionen anzuregen durch gewollte Provokationen, wie zB. durch das Nominieren des Ministerpräsident Viktor Orbán als Feind der Pressefreiheit, um auf Missstände hinzuweisen.

Gerade die Situation in Ländern Osteuropas, wie Ungarn, Slowenien und Tschechien, sieht Christian Mihr als bedenklich. Jedoch verweist er auf die immer noch existierenden, unabhängigen Onlinemedien, welche für Hoffnung Sorgen.

Onlinemedien generell gewährleisten weltweit journalistische Freiheit. Nichtsdestotrotz können auch diese zu Kontrollinstrumenten werden, meint Mihr. Neben den „Feinden des Internets“ sieht Christian Mihr zudem private Unternehmen, die frei Inhalte genehmigen oder sperren können, als Gefahr für die Pressefreiheit. Es müssen Regulierungsmechanismen etabliert werden, die einer globalen Strategie entsprechen. Bislang werde das Problem globaler Plattformen paradoxerweise immer nur national angegangen.

Die Sendereihe ist eine Kooperation des Center for Media and Information Literacy (CeMIL) des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU Berlin, der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb) und ALEX Berlin.

Die aktuelle Sendung wurde am Dienstag, 11.01.2022 von 11.-11.45 Uhr live ausgestrahlt. Sie ist nun unter https://www.mabb.de/foerderung/medienkompetenz/unsere-angebote-veranstaltungen/details/journalismus-im-dialog/journalismus-im-dialog.html auf YouTube https://www.youtube.com/watch?v=vgn_8QMDdJ8 abrufbar.

 

 

 

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