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SFB-Projekt: Umkämpfte Ordnung der Emotionen: (Anti-)Feministische Diskurse in sozialen Medien

Förderung:

Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Sonderforschungsbereich 1171 Affective Societies

Projektlaufzeit:
01.07.2023 — 30.06.2027
Das Team des Forschungsprojekts 2023

Das Team des Forschungsprojekts 2023
Bildquelle: Tim Gassauer

Scham, Wut, Empathie – diese Emotionen sind zentral sowohl in den Berichten, die Betroffene sexualisierter Gewalt unter den Hashtags #NiUnaMenos seit 2015 oder #MeToo seit 2017 veröffentlicht haben, als auch in den Reaktionen auf diese Posts. In der dritten Laufzeit untersucht das kommunikationswissenschaftliche Projekt feministische und antifeministische Diskurse auf unterschiedlichen digitalen Plattformen mit dem Ziel, die medientechnologische und algorithmische Gestaltung von vernetzten Öffentlichkeiten als infrastructures of feeling (Coleman, 2018) zu verstehen, analytisch zu fassen und theoretisch auszuarbeiten. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Infrastruktur einer sozialen Plattform (wie z.B. das Zeichenlimit auf Twitter/X oder verschiedene Filter auf Instagram) spezifische affektive Medienpraktiken ermöglicht, präfiguriert und prägt als auch, wie zeitgenössische Formen der öffentlichen Artikulation, Meinungsbildung und Mobilisierung zu kontrovers verhandelten Themen durch die Affordanzen digitaler Plattformen affektiv moduliert und strukturiert werden.

Der inhaltliche Fokus auf (anti-)feministischen Debatten, die sich in Bezug auf Themen wie Abtreibungsrecht, Rechte von trans* Personen, neuere Familienkonstellationen oder Care-Arbeit formieren, ermöglicht es, sowohl die Konflikte innerhalb verschiedener Strömungen des Feminismus wie auch antagonistische Formationen zwischen feministischen und antifeministischen Akteur:innen und Gruppierungen in den Blick zu nehmen. Da die genannten Debatten international geführt werden, lassen sich hier besonders die transnationalen Dynamiken von affective publics (Papacharissi, 2015) untersuchen, die im Zusammenwirken unterschiedlicher Akteur:innengruppen (Journalist:innen, Aktivist:innen, Social-Media-Nutzer:innen) auf digitalen Plattformen entstehen. Gleichzeitig können kommunikative Mobilisierungsprozesse antifeministischer Akteur:innen in den Blick genommen werden. Das Konzept affective publics erlaubt es dabei, die Temporalität, Materialität und Körperlichkeit solcher Formierungen als digital vernetzte Öffentlichkeiten zu erfassen. Gleichzeitig kann aus affekttheoretischer Sicht nachgezeichnet werden, welche Affekte mobilisieren bzw. welche Affekte zur (temporären) Vergemeinschaftung sowie vermehrt auch zu „online culture wars“ (Nagle, 2017) führen und wie dabei der Anspruch auf das (richtige) Fühlen öffentlich verhandelt wird.

Methodisch baut das Projekt auf Arbeiten der ersten beiden Laufzeiten auf und erweitert diese mit einem Mixed-Methods-Set quantitativer, (teil-)automatisierter wie auch qualitativer Verfahren der Video-, Bild- und Textanalyse. Die Social-Media-Analyse wird auf die Plattformen TikTok und Instagram ausgeweitet, um der Bedeutung visueller Kommunikation in digitalen Öffentlichkeiten gerecht zu werden. Dabei interessiert vor allem auch die Zirkulation von Inhalten über Plattformen hinweg sowie die spezifischen Plattform-Logiken der Sichtbarkeit, durch die Polarisierungen oder affektive Intensitäten verstärkt werden. Um der Bedeutung von Körpern in (anti-)feministischen Diskursen gerecht zu werden, nutzen wir bild- und videoanalytische Verfahren, für deren Ausarbeitung die Bildwissenschaftlerin Kerstin Schankweiler als Fellow in die Projektarbeit eingebunden wird. Forschungsleitend sind dabei folgende Fragen: Wie mobilisieren sich affective publics in (anti-)feministischen Diskursen? Welche Affekte und Emotionen werden zum Gegenstand diskursiver Aushandlungen? Wie werden die affektiven Medienpraktiken der Nutzer:innen durch die Plattform-Infrastruktur geprägt?

Bisherige Veröffentlichungen zum Thema

Adlung, S., Lünenborg, M., & Raetzsch, C. (2021). Pitching Gender in a Racist Tune: The Affective Publics of the #120decibel Campaign. Media and Communication, 9(2), 16–26. doi:https://doi.org/10.17645/mac.v9i2.3749 

Lünenborg, M. (2020). Affective Publics: Understanding the Dynamic Formation of Public Articulations Beyond the Public Sphere. In A. Fleig & C. von Scheve (Hrsg.), Public Spheres of Resonance Constellations of Affect and Language (S. 30–48). London: Routledge.

Lünenborg, M. (2021). Soziale Medien, Emotionen und Affekte. In J.-H. Schmidt & M. Taddicken (Hrsg.), Handbuch Soziale Medien (S. 1–18). Wiesbaden: Springer VS. doi:http://dx.doi.org/10.1007/978-3-658-03895-3_24-1 

Lünenborg, M., & Maier, T. (2013). Gender Media Studies. Eine Einführung. Konstanz: UVK.

Lünenborg, M., & Maier, T. (2018). The Turn to Affect and Emotion in Media Studies. Media and Communication, 6(3), 1–4. doi:10.17645/mac.v6i3.1732

Lünenborg, M., & Medeiros, D. (2021). Journalism as an Affective Institution. Emotional Labor and the Discourse on Fraud at Der Spiegel. Journalism Studies, 22(12), 1720–1738. http://dx.doi.org/10.1080/1461670X.2021.1873820

Lünenborg, M., & Medeiros, D. (2023). Under Pressure: Journalism as an Affective Institution. In J. Böttger, S. Calkins, J. Slaby, & M. Churcher (Hrsg.), Affect, Institution, Power. London: Routledge.

Lünenborg, M., & Medeiros, D. (2023): Zur Bedeutung von Emotionen im Journalismus. In: K. Meier, C. Neuberger (Hrsg.), Journalismusforschung: Stand und Perspektive (3. Auflg.). Baden-Baden: Nomos.

Lünenborg, M., & Röttger-Rössler, B. (Hrgs.) (2023). Affective Formation of Publics: Places, Networks, and Media. Routledge. https://doi.org/10.4324/9781003365426

Lünenborg, M., Töpper, C., Sūna, L., & Maier, T. (2021). Affektive Medienpraktiken. Emotionen, Körper, Zugehörigkeiten im Reality TV. Wiesbaden: Springer VS.

Makhashvili, A., Medeiros, D., & Lünenborg, M. (2022). Challenging Journalistic Authority in the Networked Affective Dynamics of #Chemnitz. Social Media + Society, 8(4), 1–14. https://doi.org/10.1177/20563051221146185

Makhashvili, A. (2023). Hijacking Solidarity: Affective Networking of Far-Right Publics on Twitter. In M. Lünenborg & B. Röttger-Rössler (Hrgs.), Affective Formation of Publics: Places, Networks, and Media (pp. 149–172). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781003365426

Medeiros, D., & Makhashvili, A. (2022). United in Grief? Emotional Communities around the Far-Right Terror Attack in Hanau on TV and Twitter. Media and Communication, 10(3). https://doi.org/10.17645/mac.v10i3.5438

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