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Studiengebühren

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Warum es keine sozialverträglichen Studiengebühren gibt

Bereits kurz nach seiner Wahl zum Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz ging der ehemalige FU-Präsident Peter Gaehtgens in die Offensive: In einem Interview mit dem Uni-Spiegel erklärte er "sozial verträgliche Studiengebühren" für "unabdingbar notwendig". Nach intensiver Debatte um direkte Studiengebühren zu Anfang des Sommersemesters machte dann Kultursenator Flierl (PDS) seinen Vorschlag zur Quadratur des Kreises: sogenannte Studienkonten sollen uns "sozial gerecht" zur Kasse bitten und die Unis effizienter machen.

Modelle für Studienkonten gibt es seit längerem in Rheinland Pfalz und Schleswig-Holstein; in Nordrhein-Westfalen ist die Einführung sogar schon beschlossen: die rot-grüne Regierung verabschiedete ein entsprechendes Gesetz, das die Einführung der Studienkonten zum Wintersemester 2004 verfügt.

Die erwähnten Modelle sehen vor, dass jede(r) Studierende zu Beginn des Studiums ein bestimmtes Guthaben von Semesterwochenstunden erhält. Diese werden als Gutscheine ausgegeben oder auf einem so genannten Studienkonto verwaltet. Für jede besuchte Lehrveranstaltung werden nun Einheiten von diesem Konto abgebucht. Ist das Konto erschöpft, droht entweder die Zwangsexmatrikulation oder eine horrende Strafgebühr (in NRW sind 650 Euro pro Semester vorgesehen, in Flierls Vorschlag 500 Euro). Um das ganze jedoch zu entschärfen, soll das gewährte Guthaben ein Studium über die Regelstudienzeit hinaus ermöglichen – von 20% mehr bis hin zur doppelten Anzahl von Semesterwochenstunden ist die Rede. Dies klingt versöhnlich, ermöglicht es doch scheinbar allen ein gebührenfreies Erststudium. Das Versprechen, nicht verbrauchtes Guthaben für Fortbildungsangebote nutzen zu können, soll noch die letzten Zweifler überzeugen.

Kontrolliertes Lernen

Die soziale Realität sieht jedoch anders aus. Die so genannte Regelstudienzeit ist seit jeher eine kaum erreichbare Minimalgrenze, die mit der tatsächlichen Studiendauer nie etwas zu tun hatte. 20% oder 50% mehr Veranstaltungen, die in der Theorie großzügig erscheinen, erweisen sich in der Praxis als bittere Notwendigkeit, um überhaupt einen Abschluss zu erlangen. Besonders bei stetig schlechteren Studienbedingungen. Ein zusätzlicher Sprachkurs oder ein Studienfachwechsel werden im Studienkontenmodell zum Luxus.

Der Flierl-Vorschlag enthält zudem einen besonderen Pferdefuß: es sollen nicht nur die Leute zahlen, die ihr Guthaben aufgebraucht haben, sondern auch alle, die mehr als vier Semester über der Regelstudienzeit liegen. Somit zieht gerade das Argument der sozialen Gerechtigkeit für Flierls Vorschlag nicht. Denn wie bei Langzeitstudiengebühren werden hier wieder pauschal alle bestraft, die aufgrund von Erwerbsarbeit, Kindererziehung oder schlichtweg anderen Lebensentwürfen nicht alle Energie ins Schnellstudium stecken können. Durch diese Zeitbegrenzung ist Flierls Modell wesentlich repressiver und unflexibler als etwa das NRW-Modell.

Aber das Studienkontenmodell, egal welches, hat noch ein ganzes Bündel von weiteren unangenehmen Nebenwirkungen.

Wo bleibt der Datenschutz?

Zum Beispiel lässt die Frage der technischen Umsetzung böse Vermutungen aufkommen. Denn wer kann schon feststellen, wie viele Semesterwochenstunden wir schon "verbraucht" haben? Dazu müsste man die Anwesenheits- und Zugangskontrollen an den Unis massiv erhöhen und systematisieren. Der Verwaltungsaufwand kostet nicht nur zusätzliches Geld, sondern wird die Uni auch endgültig vom öffentlichen in einen privaten Ort verwandeln. Der Studierendenausweis oder die Chipkarte mit dem Studienkonto wird zum Privileg. Wer das nicht hat, bleibt außen vor. Und auch der Datenschutz bleibt außen vor, denn ohne detaillierte Aufstellung der besuchten Veranstaltungen lässt sich ein Studienkonto nicht verwalten. Die Studierenden haben keine Wahl: sie müssen diese Datensammlung zulassen, um weiter zu studieren.

Der Bildungsmarkt

Auch wenn die unmittelbaren Auswirkungen bitter genug sind – viel einschneidender sind die langfristigen Änderungen, die sich aus dem Kontenmodell und seinen ökonomischen Prämissen ergeben. Setzt sich das Modell nämlich durch, dann verabschieden wir uns von einem staatlich garantierten und verwalteten Bildungssystem. Die Entwicklung führt zum Bildungsmarkt, auf dem das Studium und letztlich auch die Studierenden selbst den Charakter einer Ware annehmen.

Die Bildungsgutscheine funktionieren als Zahlungsmittel auf diesem "Neuen Markt", Universitäten sind die Anbieter und Studierende die Kunden. Durch das Nachfrageprinzip sollen die Hochschulen um ihre studentischen Kunden konkurrieren und in diesem Wettbewerb zu einer Verbesserung ihrer Leistungen gezwungen werden. Dies wird dadurch gesichert, dass Hochschulen die staatlichen Gelder entsprechend der Anzahl der eingelösten Bildungsgutscheine erhalten.

So soll eine allgemeine Qualitätssteigerung erreicht werden. Da jedoch die staatlichen Ausgaben für Bildung in Zukunft eher sinken als steigen werden, handelt es sich um ein Nullsummenspiel. Was die eine Hochschule bekommt, verlieren die anderen. Eine Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft in Institutionen erster und zweiter Klasse wäre die Folge. Denkt man die Marktlogik weiter, ist ab diesem Zeitpunkt ein weiteres Kriterium zur Auswahl der Studierenden nötig, die eine Bildung erster Klasse erhalten sollen. Ohne Zugangsbeschränkungen könnten nämlich die begehrteren Hochschulen ihre Qualität nicht aufrechterhalten, sie wären hoffnungslos überfüllt. Denkbar wären eine weitere Verschärfung des Numerus Clausus oder gesonderte Auswahltests. Die logischere Variante ist allerdings eine Preiserhöhung für die "besseren" Leistungen der neuen Elitehochschulen. Der Zugang zur Bildung wäre also alles andere als sozialverträglich geregelt. Im Gegenteil, die Marktlogik führt auch hier zur Ausdifferenzierung des Bildungsangebotes in Luxus für wenige und Billiges für die breite Masse. Innerhalb der einzelnen Hochschulen erfolgt übrigens bereits durch die Bachelor/Master-Schranke eine solche Differenzierung in praxisorientierte Bachelor-Studiengänge und die Masterprogramme für die vermeintlich begabtere Elite.

Das öffentliche Gut Bildung würde somit durch die künstliche Verknappung per Studienkonto in eine Ware verwandelt. Und Warenförmigkeit bedeutet auch stets, dass sich einige mehr als andere leisten können. Insbesondere die Tatsache, dass leere Studienkonten durch Zahlung einer Gebühr wieder "aufgeladen" werden sollen, illustriert die soziale Ungerechtigkeit der neuen Ausschlußmechanismen. Nur begüterte StudentInnen können sich die 500 Euro für jedes "zusätzliche" Semester leisten.

Soziale Unsicherheit

Neben dem Mangel an Verteilungsgerechtigkeit bringt der Bildungsmarkt jedoch weitere unerfreuliche Randerscheinungen mit sich. Durch die zunehmende Konkurrenz untereinander müssen die Hochschulen in ihrer Personalpolitik flexibler werden. Schnelle Einstellungen und Entlassungen sind nötig, um das Angebot der Nachfrage anzupassen. Dieses Prinzip von "Hire and Fire" bedeutet für das wissenschaftliche und sonstige Personal der Hochschulen eine weitere Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen. Tarifvertraglich und langfristig gesicherte Arbeitsplätze würden Werkverträgen, Projektarbeiten und Kurzzeitjobs weichen.

Hochschule ohne Demokratie

Auch die demokratischen Rechte, die sich Studierende und Mitarbeiter bisher erkämpfen konnten, würden in einer marktorientierten Hochschule eher als Hemmschuh empfunden. Mit den Tarifverträgen würden auch die Personalräte überflüssig, ebenso die Frauenbeauftragte, die verfasste Studierendenschaft und die marginalen Mitbestimmungsrechte in den akademischen Gremien. Sicher werden diese Errungenschaften nicht von heute auf morgen abgeschafft, aber grundsätzlich wiedersprechen sie der Idee vom "Unternehmen Universität". In Berlin läuft seit 1997 mit der so genannten Erprobungsklausel bereits ein Modellversuch in diese Richtung. Die Klausel erlaubt es den Hochschulen, einzelne Teile des Berliner Hochschulgesetzes "zur Probe" außer Kraft zu setzen und eigene Leitungsmodelle zu entwickeln. Dies führte etwa an der FU zu einer enormen Stärkung des Präsidiums und zur faktischen Entmachtung anderer Gremien wie des Akademischen Senats.

Qualitätsverlust bei der Lehre?

Aber auch das Versprechen von der Qualitätssteigerung durch Wettbewerb werden die neuen Steuerungsmodelle kaum einlösen können. Denn Qualität wird hier blind mit Nachfrage gleichgesetzt – eine Hochschule, bei der viele ihre Bildungsgutscheine einlösen, bietet Qualität und soll staatlich besonders gefördert werden. Es gibt jedoch ganz andere Wege, um an die begehrten Gutscheine zu kommen. Das einfachste Mittel wäre eine gute Werbekampagne, mit der eine Uni der anderen die Kunden abwirbt. Private Bildungsanbieter verfahren ähnlich, wie sollen die Kunden sonst über das besondere Angebot informiert werden. Somit würden Steuergelder nicht in die Lehre, sondern in die Selbstdarstellung investiert.

Aber nicht nur die Werbeagenturen würden subventioniert, sondern auch private Bildungsanbieter: wenn übriggebliebene Gutscheine nämlich wie vorgesehen nach dem Studium zur Fortbildung bei solchen Unternehmen eingelöst werden können. So würden weitere staatliche Mittel aus dem ohnehin unterfinanzierten Bildungssystem abgezogen.

Auch besondere Förderung der nachgefragten Hochschulen führt nicht unbedingt zur besseren Lehre. Sie würde eher das Interesse erhöhen, die Studierenden möglichst lange im Studium zu halten, um ihre Konten zu leeren. Mit hohen Durchfallquoten ließe sich das leicht bewerkstelligen. Der Steuerungseffekt hin zu kürzeren Studiendauern wäre dahin. Da liegt eher der Gedanke nahe, die Hochschulen mit kurzer Studiendauer im Rahmen einer leistungsbezogenen Mittelvergabe, wie sie vielerorts schon Praxis ist, besonders zu prämieren. Dann würde es sich auszahlen, die Inhalte zu reduzieren und die Studierenden im Schnelldurchlauf zum Abschluss zu treiben.

So oder so: das derzeitige Desinteresse an der Lehre durch ein ökonomisches Interesse zu ersetzten, wird die Lehre eher verschlechtern als verbessern.

Auch die Fächervielfalt wird sich mit der ökonomischen Steuerung wohl weiter reduzieren. Exotenfächer wie Ägyptologie etwa verursachen höhere Kosten als gut besuchte Studiengänge; auch bei der Produktion von Abschlüssen ist eben Massenproduktion billiger als Maßarbeit. Die Spezialisierung der Hochschulen führt so zur Vernichtung gewachsener Fächervielfalt. Und auch die teure Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften wird wohl noch stärker aus der Universität ausgelagert werden – und somit für Studierende unzugänglich sein.

Fazit

Das Studienkontenmodell ist keine x-beliebige Sparmaßnahme und auch nicht die sozial verträgliche Alternative zu Studiengebühren. Es sorgt vielmehr für eine künstliche Verknappung von Bildung und verwandelt ein staatlich garantiertes Recht schrittweise in eine Handelsware. Flierls integrierte Langzeitstudiengebühren bestrafen die vermeintlichen "Bummelstudenten" als Sündenbock, anstatt die Krise der Unis ernsthaft durch Verbesserung von Beratung und Lehre zu lösen – populistische Politik auf B.Z.-Niveau.

Außerdem begünstigen die ökonomistischen Steuerungsmechanismen Elitenbildung und beschränken das Studium für den Großteil der Studierenden auf eine unzureichende "Grundversorgung". Dabei ist es letztlich egal, ob das Konto zunächst der 1,5-fachen oder der doppelten Regelstudienzeit entspricht. Der Anfangsbetrag des Kontos kann später durch den Gesetzgeber problemlos auch auf die einfache oder halbe Regelstudienzeit gesenkt werden. Angesichts leerer Kassen ist das ein wahrscheinliches Szenario. Die Intensivierung der Kontrolle, die fehlende Demokratie des Bildungsmarkts, die Entstehung einer zwei-Klassen-Bildung etc. – all diese Effekte können nur die grundsätzliche Ablehnung solcher Modelle zur Folge haben.

Es gilt, dem herrschenden Verständnis von Bildung als Ware eigene Vorstellungen von Bildungsgerechtigkeit entgegen zu setzen und offensiv zu vertreten.

Literatur:

  • Klemens Himpele: Modernes Bildungsprivileg, in: Studienheft Bildungsfinanzierung, hrsg. vom Bund demokratischer Wissenschaftler (BdWi).

  • Klemens Himpele: Leistung lohnt sich wieder, in: Zeitung gegen Studiengebühren, Ausgabe Winter 2002/03, hrsg. vom Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS).

  • Zum Thema Chipkarten gibt es einen Reader der Landesastenkonferenz Berlin; er erscheint voraussichtlich im WS 2003/2004.

Alles im AStA erhältlich bzw. einsehbar.

Ralf Hoffrogge

Schlagwörter

  • Publizistik, Kommunikationswissenschaft, Publizistikwissenschaft, Massenkommunikation, Massenmedien, Journalismus, Medienforschung, Kommunikationsforschung, Informationswissenschaft
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