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Chinesische Social Media Unternehmen zwischen Nutzerinteressen und staatlicher Regulierung

— Adrian Rauchfleisch & Jean-François Mayoraz (Uni Zürich)

Vollständiger Beitrag im Tagungsband

 

Neuste Statistiken belegen, dass mittlerweile 591 Millionen Chinesen Zugang zum Internet haben (CNNIC 2013). Auch in China sind Social Media Plattformen von zentraler Bedeutung, obwohl westliche Anbieter wie Facebook oder Twitter erfolgreich geblockt werden (Canaves 2011). Dafür entstanden inländische Alternativen, von denen Sina Weibo (im Folgenden: Weibo) mit durchschnittlich 54 Millionen aktiven Nutzern pro Tag, die populärste Microblogging-Plattform ist (Sina Hubei 2013). Die Rahmenbedingungen, in denen Weibo operieren muss, unterscheiden sich aufgrund des politischen Systems markant von westlichen Märkten. Kürzlich kündigte die Kommunistische Partei Chinas den 'Kampf um die öffentliche Meinung' an (Qian 2013). Chinas autoritäres Regierungssystem verfolgt als Hauptinteresse die Machterhaltung, welche sie als 'Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung' beschreiben (The Supreme People's Court of China 2013). Dies äussert sich in den verschärften Eingriffen in die Onlineaktivitäten der Bürger.

Die Sina Corporation (im Folgenden: Sina) als wirtschaftlicher Akteur mit Gewinnmaximierungsinteressen steht in diesem Kontext zwischen den staatlichen Interessen und den Interessen seiner Nutzer. Als Unternehmen sind sie auf Werbeeinahmen angewiesen, welche durch hohe Nutzerzahlen und starker Aktivität auf Weibo generiert werden können. Obwohl Weibo von Kritikern als unpolitische Unterhaltungsplattform eingestuft wird (Sullivan 2013), gibt es eine beachtliche Anzahl von Studien, welche auf das politische Potential von Weibo verweisen (Yang 2011; Noesselt 2013; Xiao 2011; Poell et al. 2013). In regelmässigen Abständen landen kritische Auseinandersetzungen über politische Sachverhalte unter den am meisten diskutierten Themen auf Weibo (Poell et al. 2013). Dabei sind die Nutzer auf Weibo aber mit direkten staatlichen Eingriffen sowie Selbstzensur durch Sina konfrontiert.

In der Forschung wurde bisher zu verschiedenen Zeitpunkten die Effektivität staatlicher Internetregulierung untersucht. In einer ersten Phase seit 1994 versuchte China mit gesetzlichen Regulierungen die Kontrolle über das Internet zu erlangen (Endeshaw 2004). In einer zweiten Phase nach 2000 setzte die Regierung vermehrt auf indirekte Regulierung, von der auch Sina stark betroffen ist (Liang und Lu 2010). Neuste Entwicklungen deuten wieder vermehrt auf direkte staatliche Eingriffe hin. Dies zeigt sich z.B. in der erweiterte Auslegung von ausgewählten Straftatbeständen durch das höchste chinesische Gericht, welche nun auch Onlinesachverhalte umfassen. Menschenrechtsorganisationen kritisieren denn auch die neusten Eingriffe in das Internet stark (Human Rights Watch 2013). Im Vordergrund steht dabei vor allem die Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäusserung.

Es stellen sich somit zwei zentrale Forschungsfragen:

  1. Auf welche Instrumente greift der chinesische Staat zurück, um die öffentliche Meinung auf Weibo zu steuern?
  2. Existiert eine online Öffentlichkeit auf Weibo, in der Nutzer ihre Meinung frei äussern können?

Zur Beantwortung dieser Fragen ist das komplexe Spannungsverhältnis zwischen den Nutzern von Weibo, Sina als wirtschaftlichem Akteur und dem autoritären Staat zu untersuchen. Dieses spezifische Spannungsverhältnis wurde bisher in der Forschung noch nicht untersucht.

 

Abb. 1 Staatliche Instrumente der Steuerung der Meinung auf Sina Weibo

 

In unserer Präsentation werden wir die einzelnen Bestandteile unseres Modells genauer vorstellen. Eine Auswahl staatlicher Eingriffe in Form von direkter und indirekter Regulierung wird jeweils aus einer juristischen Sicht dargestellt und mit einer Dokumentenanalyse beurteilt. Dabei geht es um die nähere Betrachtung von Regulierungen, die direkt den Nutzer betreffen (direkte Regulierung) sowie von Regulierungen, die an Sina gerichtet sind und den Nutzer indirekt betreffen (indirekte Regulierung). Schliesslich wird auch die aktive Informationspolitik des Staates auf der Weibo Plattform genauer untersucht, welche als Propagandastrategie in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen hat. Die Untersuchung soll die Interessenskonflikte von Nutzer und Staat aufzeigen, zwischen denen sich Sina bewegt.

China ist bestrebt, die Meinungsäusserungsfreiheit einzuschränken. Aus unserer Sicht erweisen sich die regulatorischen Instrumente zur Durchsetzung dieses Anliegens jedoch als schwierig umsetzbar. Im Fokus steht dabei Sina, die wirtschaftliche Interessen verfolgen und gleichzeitig zwischen den Interessen der Nutzer und des Staates steht. Es kann festgehalten werden, dass sich das Katz und Maus Spiel zwischen Nutzern und Behörden fortsetzt, welches schon 2004 beobachtet wurde (Endeshaw 2004). Speziell Social Media Plattformen sind wegen ihrer technischen Möglichkeiten für den Staat schwer kontrollierbar. Hinzu kommt, dass die Nutzer verschiedene Umgehungsstrategien entwickelt haben, um ihre Meinung trotz dieser Eingriffe frei äussern zu können. Sie weisen ein Bedürfnis an der Meinungsäusserungsfreiheit auf, weshalb auch Sina solche Aktivitäten auf ihrer Plattform bis zu einem gewissen Grad toleriert (Zhu et al. 2013). Eine Beurteilung dieser direkten und indirekten Regulierungen aus Sicht der in Art. 19 des Internationalen Pakts über die bürgerlichen und politischen Rechte (United Nations 1976) garantierten Meinungsäusserungsfreiheit rundet daher unsere Analyse ab.

Pessimistische Sichtweisen wie von McChesney (2013) oder Morozov (2011) können im Falle Chinas hinterfragt werden. Der Einfluss wirtschaftlicher Akteure schafft gewisse Freiheiten und steht damit im Gegensatz zu klassischen westlichen Öffentlichkeitstheorien (Habermas 1993), welche die Vermachtung der Öffentlichkeit durch die Wirtschaft als negative Entwicklung einstufen. Die Zukunft wird zeigen, ob Sina das gleiche Schicksal erfährt wie die Plattform Fanfou, die 2009 kurzerhand auf staatliche Intervention hin geschlossen wurde.

 

Literatur

  • Canaves, S. (2011): China's social networking problem. In: Spectrum, IEEE 48(6), S. 74–77.
  • CNNIC (2013): 基础数据. Online verfügbar unter http://www.cnnic.net.cn/hlwfzyj/jcsj/, zuletzt geprüft am 04.09.2013.
  • Endeshaw, Assafa (2004): Internet regulation in China: the never-ending cat and mouse game1. In: Information & Communications Technology Law 13(1), S. 41–57. DOI: 10.1080/1360083042000190634.
  • Habermas, Jürgen (1993): Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft; mit einem Vorwort zur Neuauflage 1990. Unveränd. Nachdr., 3. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, 891).
  • Human Rights Watch (2013): China: Draconian Legal Interpretation Threatens Online Freedom. Online verfügbar unter http://www.hrw.org/news/2013/09/13/china-draconian-legal-interpretation-threatens-online-freedom, zuletzt geprüft am 18.10.2013.
  • Liang, B.; Lu, H. (2010): Internet Development, Censorship, and Cyber Crimes in China. In: Journal of Contemporary Criminal Justice 26(1), S. 103–120. DOI: 10.1177/1043986209350437.
  • McChesney, Robert Waterman (2013): Digital disconnect. How capitalism is turning the Internet against democracy. New York: New Press.
  • Morozov, Evgeny (2011): The net delusion. How not to liberate the world. London [u.a.]: Allen Lane.
  • National People's Congress (1997): Criminal Law of the People's Republic of China, vom 14.03.1997. Online verfügbar unter http://www.npc.gov.cn/englishnpc/Law/2007-12/13/content_1384075.htm, zuletzt geprüft am 20.10.2013.
  • Noesselt, Nele (2013): Microblogs and the Adaptation of the Chinese Party-State's Governance Strategy. In: Governance, S. n/a. DOI: 10.1111/gove.12045.
  • Poell, Thomas; Kloet, Jeroen de; Zeng, Guohua (2013): Will the real Weibo please stand up? Chinese online contention and actor-network theory. In: Chinese Journal of Communication, S. 1–18. DOI: 10.1080/17544750.2013.816753.
  • Qian, Gang (2013): Parsing the "public opinion struggle". Online verfügbar unter http://cmp.hku.hk/2013/09/24/34085/, zuletzt geprüft am 20.10.2013.
  • Sina Hubei (2013): 2013 上半年度湖北区域新浪微博白皮书. Online verfügbar unter http://hb.sina.com.cn/news/d/2013-08-26/0845100157.html, zuletzt geprüft am 20.10.2013.
  • Sullivan, J. (2013): China's Weibo: Is faster different? In: New Media & Society. DOI: 10.1177/1461444812472966.
  • The Supreme People's Court of China (2013): 最高人民检察院关于办理利用信息网络实施诽谤等刑事案 件适用法律若干问题的解释, vom 06.09.2013. Online verfügbar unter http://www.chinacourt.org/law/detail/2013/09/id/146710.shtml, zuletzt geprüft am 20.10.2013.
  • United Nations (1976): International Covenant on Civil and Political Rights, 16 December 1966. In: Treaty Series vol. 999, S. 171–346. Online verfügbar unter http://treaties.un.org/doc/publication/UNTS/Volume%20999/v999.pdf, zuletzt geprüft am 20.10.2013.
  • Xiao, Qiang (2011): The Battle for the Chinese Internet. In: Journal of Democracy 22(2), S. 47–61. DOI: 10.1353/jod.2011.0020.
  • Yang, Guobin (2011): The power of the internet in China. Citizen activism online. Paperback ed. New York: Columbia University Press (Contemporary Asia in the world). 
  • Zhu, Tao; Phipps, David; Pridgen, Adam; Crandall, Jedidiah R.; Wallach, Dan S. (2013): The Velocity of Censorship: High-Fidelity Detection of Microblog Post Deletions. In: arXiv preprint (arXiv:1303.0597). Online verfügbar unter http://arxiv.org/abs/1303.0597, zuletzt geprüft am 12.09.2013.

 

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