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Neutralität, Transparenz, Kompetenz: Medienrechtliche Ansatzpunkte für eine Neuregulierung des Suchmaschinenmarktes

— Simon Schuster, Dieter Dörr, Pascal Jürgens, Birgit Stark & Melanie Magin (JGU Mainz)

Vollständiger Beitrag im Tagungsband

 

In der digitalisierten Gesellschaft nehmen Suchmaschinen als neue Intermediäre eine Schlüsselrolle ein: Als Navigationshilfen und Gatekeeper machen sie das Internet für die Nutzer erst zugänglich und erschließen ihnen die Vielfalt der Inhalte im Netz. Damit sind allerdings unweigerlich Selektionsentscheidungen verbunden, gefällt durch Such-Algorithmen. Wenn Webseiten von diesen nicht auf den vorderen Plätzen der Trefferlisten platziert werden, existieren sie für die breite Mehrheit der Nutzer schlichtweg nicht. Suchmaschinen besitzen somit zumindest das Potenzial, die Auswahl der rezipierten Informationen zu verzerren, und könnten sich negativ auf die Informations- und Meinungsvielfalt im Netz auswirken. Diese Gefahr erscheint umso größer vor dem Hintergrund, dass sich diese Infrastrukturen größtenteils nicht in öffentlicher Hand, sondern im Besitz gewinnorientierter Privatunternehmen befinden (Schmidt 2012: 8). Denn in deren Fokus stehen nicht öffentliche, sondern ihre ureigensten, kommerziellen Interessen, die weder normativ an gesellschaftliche Funktionen noch durch Aufsicht oder Regulierung an die Wahrung demokratietheoretisch wichtiger Prinzipien, etwa der Vielfaltsicherung, gebunden sind.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Suchmaschinenmarkt mittlerweile durch einen einzigen Anbieter dominiert wird: Google nimmt in Deutschland mit einem Marktanteil von über 95% an allen Suchanfragen eine Quasi-Monopolstellung ein (Netmarketshare 2012) und verengt durch seine spezifischen Suchalgorithmen den "Internet-Horizont" jedes einzelnen Nutzers potenziell noch weiter: Die seit 2005 eingesetzte und seit 2012 intensivierte Google-Personalisierung präsentiert jedem User auf Basis gespeicherter Daten über bisherige Suchvorgänge individuelle Trefferlisten, die zu seinen bisherigen Suchanfragen und den daraus rekonstruierten Interessen passen. In Schlagworten wie "Search Engine Bias" und "Filter Bubble" (Pariser 2011) kommt das zum Ausdruck. Die Auswirkungen dessen auf die Trefferlisten, sind für die Nutzer jedoch nur schwer zu erkennen.

Aus kommunikationspolitischer Sicht ist die damit verbundene Machtposition von Suchmaschinen im Allgemeinen und insbesondere die von Google äußerst kritisch zu bewerten – zumal bislang völlig offen ist, wie diesen Problemen begegnet werden kann. Dies liegt auch daran, dass die Suchmaschinenforschung diesbezüglich in mehrerer Hinsicht Lücken aufweist. Hinzu kommt, dass sich verschiedene Wissenschaftsdisziplinen bislang weitgehend unabhängig voneinander mit Suchmaschinen befasst haben, ohne ihre Befunde gegenseitig zur Kenntnis zu nehmen und auf diese Weise voneinander zu profitieren.

So liegen in der Kommunikationswissenschaft zwar etliche Studien zum Umgang der Nutzer mit Suchmaschinen und deren Wirkungen vor (z.B. Machill/Welp 2003; Pan et al. 2007; Wirth et al. 2007). Diese sind aber durchweg älteren Datums, ihre Befunde lassen sich nicht einfach auf die veränderten technischen Funktionen der Suchmaschinen wie z.B. die Personalisierung von Trefferlisten oder die automatische Vervollständigung von Suchbegriffen ("Autocomplete-Funktion") übertragen. Kaum Beachtung fanden in der Forschung bisher auch die Kompetenz der Nutzer im Umgang mit Suchmaschinen und die kommunikationspolitische Bedeutung des Nutzerverhaltens.

Auch die medienrechtliche Forschung hat sich bislang nur am Rande mit Suchmaschinen befasst und dabei kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse ebenso nicht berücksichtigt. Suchmaschinen als relativ junges Phänomen der Massenmedien können bislang nicht ohne weiteres unter die gültigen Regelungen des Medienkonzentrations- und Wettbewerbsrechts subsummiert werden. Gleichzeitig steigt mit der gesellschaftlichen Relevanz von Suchmaschinen, ihrer wachsenden Bedeutung als

Informationsvermittler und ihrer technischen Infrastruktur der politische Handlungsdruck, sich mit Möglichkeiten der Suchmaschinenregulierung auseinander zu setzen. Das Kartellverfahren der EU gegen Google (Kerkmann & Ludwig 2013) sowie die aktuelle deutsche Rechtsprechung (BGH Urteil vom 14. Mai 2013 – VI ZR 269/12 = VersR 2013, 771ff.) illustrieren dies.

Die vorliegende Untersuchung möchte zur Schließung all dieser Forschungslücken beitragen. In einem interdisziplinären Ansatz werden aktuelle Befunde aus Kommunikationswissenschaft und Medienrecht zusammengeführt: Eine aktuelle Bestandsaufnahme des Nutzerverhaltens und des damit verbundenen Wirkungs- und Gefahrenpotenzials von Suchmaschinen bildet die Basis für eine Analyse möglicher Regulierungsoptionen.1

Im Rahmen der kommunikationswissenschaftlichen Teilstudie wurden im September 2012 neun qualitative Gruppendiskussionen mit jeweils drei Internetnutzern ("Triaden") unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Medienkompetenz sowie im Mai 2013 eine quantitative, für die deutschen Internetnutzer ab 14 Jahren repräsentative Online-Befragung von 1.012 Personen durchgeführt. Die Ergebnisse belegen, dass unter den Rezipienten ein durchweg unkritisches, naives Bild von Google als Unternehmen vorherrscht, das sich auch im Umgang mit der Suchmaschine spiegelt. In der alltäglichen Nutzung vertrauen viele Nutzer blind auf die Auswahl- und Rangentscheidungen, ohne diese kritisch zu evaluieren. Besonders einflussreich sind dabei die automatischen Vorschläge bei der Eingabe von Suchbegriffen ("Autocomplete-Funktion").

Obwohl der Großteil der Befragten die eigene Kompetenz im Umgang mit Suchmaschinen als gut bewertet, offenbart ein formaler Wissenstest, dass die breite Masse allenfalls in Ansätzen darüber Bescheid weiß, wie Google funktioniert – bedingt sicherlich dadurch, dass dies die wenigsten überhaupt interessiert. Dieser Befund ist nicht der einzige mit inhärentem Widerspruch: Viele Befragte lehnen einerseits die Speicherung ihrer Daten explizit ab, finden andererseits aber die daraus resultierenden, auf sie zugeschnittenen Suchergebnisse begrüßenswert. Im Quasi-Monopol von Google wird zwar ein zu großes Machtpotenzial erkannt, zugleich wird aber zugestanden, dass dieses durch das "beste Angebot" gerechtfertigt sei. Die Studienergebnisse belegen ein mangelndes Problembewusstsein und einen weitgehend unkritischen Umgang mit Google, insbesondere bei Nutzern unter 30 Jahren. Die wenigsten Nutzer sind gewillt und fähig, selbstbestimmt und souverän Suchmaschinen zu verwenden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer wirkungsvollen Regulierung der neuen Intermediäre, wenn deren Machtpotenzial begrenzt werden soll.

Einen Ausblick darauf, wie eine solche Regulierung künftig aussehen könnte, möchte die medienrechtliche Teilstudie geben. In der juristischen Bewertung stellen Personalisierungstechnologien und Autocomplete-Funktion in Kombination mit der marktbeherrschenden Stellung und der Naivität der Nutzer einen entscheidenden Wendepunkt dar. Entgegen der langjährigen Position, nach der die Betreiber als reine Vermittler keine eigene inhaltliche Verantwortung tragen, agieren Suchmaschinen wie Google nunmehr dediziert als Produzenten von inhaltlichen Komposita. Sie werden damit zum Player auf dem Meinungs- und Informationsmarkt. Ihnen kommt, ähnlich wie dem Rundfunk, Suggestivkraft zu. Da es im Medienrecht bisher an dediziert auf Suchmaschinen anwendbaren Regelungen fehlt, entwirft die Studie als neuen Zugang eine Sonderregelung entlang der bekannten Begründungszusammenhänge der Rundfunkregulierung.

Das vorgeschlagene Konzept einer Neuregulierung bindet mittels dreier Kriterien die Suchmaschinen an ihre gesellschaftliche Verantwortung: (1) Neutralität bezeichnet gleiche Chancen auf aussichtsreiche Rankingplätze in Trefferlisten für alle Anbieter von Webinhalten. Um den Nutzern eine solche neutrale Auswahl aus dem gesamten Angebotsspektrum zu ermöglichen, dürfen Suchmaschinenbetreiber keinen Einfluss auf das Ranking von Suchergebnissen nehmen. (2) Transparenz zielt auf die hinreichende Offenlegung der Funktionsweise von Suchmaschinen, um interne und externe Manipulationen und Verfälschungen der Trefferlisten erkennen zu können. Die Manipulationsgefahr muss auch stärker in das Bewusstsein der Nutzer rücken. (3) Kompetenz zieht in Betracht, dass die größtmögliche Vielfalt im Internet wirkungslos bleibt, wenn Nutzer keinen Gebrauch von ihr machen. Die Stärkung der Medienkompetenz kann dieses Risiko mindern, indem Nutzer auf ihre eigenen Gestaltungsmöglichkeiten und ihre Eigenverantwortung hingewiesen. Dafür müssen die Suchmaschinenanbieter in die Pflicht genommen werden.

Diese drei Kriterien sollte der Gesetzgeber bei der Erarbeitung entsprechender Handlungsoptionen berücksichtigen. Anspruch einer künftigen Regulierung muss sein, die Meinungsvielfalt zu sichern, ohne unverhältnismäßig in den Wettbewerb und die dynamischen Entwicklungsprozesse der digitalen Medien einzugreifen.

 

Literatur

  • Becker, Konrad & Stalder, Felix (Hrsg.) (2009). Deep Search: Politik des Suchens jenseits von Google. Wien: Studienverlag.
  • Beiler, Markus. (2013): Nachrichtensuche im Internet. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft. Goldman, Eric. (2006). Search Engine Bias and the Demise of Search Engine Utopianism. Yale Journal of Law and Technology, 8(1), Article 6.
  • Fortunato, Santo; Flammini, Allessandro, Menczer, Filippo & Vespignani, Alessandro. (2006). The egalitarian effect of search engines. Arxiv preprint csCY/0511005. Verfügbar unter: http://arxiv.org/pdf/cs.CY/0511005
  • Kerkmann, Christof & Ludwig, Thomas. (2013). "EU will Suchgeschäft von Google kontrollieren". Handelsblatt Online vom 22.04.2013. Abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/itCmedien/kartellverfahrenCeuCwillCsuchgeschaeftCvonCgoogleCkontrollieren/8093400.html.
  • Machill, M.; Welp, C. (2003): Wegweiser im Netz. Qualität und Nutzung von Suchmaschinen. Gütersloh: Verlag
  • Bertelsmann Stiftung. Netmarketshare (2012): Search Engine Market Share. http://marketshare.hitslink.com/searchCengineCmarketCshare.aspx?qprid=4&qpaf=C000%09101%09DE%0D&qptimeframe=Y (10.12.2012).
  • Pan, B., Hembrooke, H., Joachims, T., Lorigo, L., Gay, G., & Granka, L. (2007). In Google We Trust: Users’ Decisions on Rank, Position, and Relevance. Journal of Computer-Mediated Communication, 12(3), 801–823.
  • Pariser, E. (2011). The Filter Bubble: What the Internet Is Hiding from You. London et al.: Penguin.
  • Schmidt, J. (2012): Das demokratische Netz? Aus Politik- und Zeitgeschichte, 62(7), 38.
  • Wirth, W., Böcking, T., Karnowski, V., & Pape, von, T. (2007). Heuristic and Systematic Use of Search Engines. Journal of Computer Mediated Communication, 12(3), 778C800.

 

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