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Tagesspiegel: Prof. Dr. Sabine Achour "Lehrerinnen mit Kopftuch - Verfassungsfeindliche Ideologien lassen sich nicht an der Kopfbedeckung festmachen."

Prof. Dr. Sabine Achour

Prof. Dr. Sabine Achour

Die Zusammensetzung der Lehrerzimmer spiegelt die Diversität der Schülerschaft nicht wider. Kopftuchtragende Lehrerinnen sind nicht zwangsläugig verfassungsfeindlich, im Gegenteil, sie stehen eher im Widerspruch zum salafistischen Frauenbild.

News vom 15.06.2017

Expertise: Sabine Achour Politikwissenschaftlerin Freie Universität Berlin

Sabine Achour ist seit 2015 Gastprofessorin am Arbeitsbereich Politikdidaktik/ Politische Bildung am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin. Im Rahmen ihrer Forschung beschäftigt Sie sich mit Herausforderungen für die politische Bildung in einer immer diverser werdenden Gesellschaft. Für ihre Dissertation "Bürger muslimischen Glaubens. Politische Bildung im Kontext von Migration, Integration und Islam" hat sie 2015 den Walter-Jacobsen-Preis für politische Bildung erhalten.

„Wenn Sie hier unterrichten, muss das Kopftuch weg“, so der Schulleiter zur Studentin mit Kopftuch. Als betreuende Dozentin führte ich dann ein Gespräch, was von Trauer, Hilflosigkeit und auch Angst geprägt war. Und es war nicht das einzige. 

Die Seminare für angehende Lehrkräfte an den Universitäten werden immer bunter –  und das hat lange gedauert. Dabei sind laut empirischer Sozialforschung der gesellschaftliche Zusammenhalt dort besonders hoch und Vorurteile seltener anzutreffen, wo Menschen in migrationsbedingter Vielfalt zusammenleben und -arbeiten. Über Jahrzehnte spiegelten die eher „weißen Lehrerzimmer“ nicht einmal in Ansätzen die immer diverser werdende Schülerschaft wider.

Teil dieser Diversität sind auch Muslima, die ein Kopftuch tragen. Was die jungen Frauen dazu bewegt, ist ganz unterschiedlich. Man könnte die Frauen z.B. einfach nach ihren Gründen fragen, weniger über ihren Köpfen hinweg diskutieren. Insbesondere Schülerinnen und Schüler sind da ganz ungehemmt – soweit sie Gelegenheit dazu erhalten. 

Auf jeden Fall existieren Gründe jenseits von Unterdrückung oder religiösem, missionarischem Fundamentalismus. Wenn man verfassungsfeindliche Ideologien an Kopfbedeckungen in der Schule erkennen könnte, wäre das für die politische Kultur- und Demokratieforschung sowie für die Lehrkräftebildung ein Quantensprung. Allein quantitativ sollten zurzeit rechtspopulistische Tendenzen in Lehrerzimmern mehr zur Sorge Anlass geben als potentielle Islamistinnen mit Kopftuch. Ressentiments lassen sich leichter äußern, wenn man „unter sich“ ist, eine Muslima mit Kopftuch als Kollegin hätte lieb gewonnene Zuschreibungen wie unemanzipiert oder fundamentalistisch möglicherweise schon irritiert. Ein Großteil der Lehrkräfte begegnet ihnen im Schulgebäude aber lediglich als Reinigungskraft.  Das wird wohl (noch) als „ungefährlich“ hinsichtlich möglicher Ideologisierungsversuche angesehen.

Auch in meinen Seminaren für angehende Politiklehrkräfte ist mir noch keine Fundamentalistin begegnet. Und hier geht es ganz klar um den Kern der ganzen Sache: Die angehenden Lehrkräfte, auch Muslima mit Kopftuch, wollen junge Menschen für Demokratie, Menschenrechte, Grundgesetz, Partizipation, Freiheit und Emanzipation begeistern. Sie wollen Teil des Berliner Bildungssystems sein. Mehr „Integrationsbereitschaft“ kann man eigentlich kaum noch erwarten.

Die jungen Kopftuchträgerinnen mögen zwar tatsächlich konservativer in ihren Wertvorstellungen sein. Häufig sind sie dadurch auch oft „systemtragender“, manchmal deutlich feministischer und machen sich engagiert gegen soziale Ungerechtigkeit stark.

Denn viele von ihnen haben selbst oder im Familienkontext verwehrte Emanzipation, Bildungsungerechtigkeit und Diskriminierung erfahren. Ein Blick in die Migrationssoziologie zeigt deutlich, dass Migration vor allem für muslimische Frauen im Generationenvergleich mit einem enormen Bildungsaufstieg verbunden ist. Insofern stellen sie möglicherweise weniger eine Gefahr dar, muslimische Schülerinnen zum Tragen des Kopftuches zu motivieren. Diese tragen es ja sowieso schon. Vielleicht liegt hier vielmehr die Chance für ein muslimisches Kopftuch-Frauenbild, welches sich nicht auf Küche, Kinder und Koran reduzieren lässt.  

Diese jungen Frauen nicht unterrichten zu lassen, verwehrt ihnen das Recht auf barrierefreie Teilhabe, auf Inklusion als Menschenrecht. Anstatt Empowerment, Bildungsaspirationen, „Kulturvermittlung“, hybride und transnationale Identität zu fördern, wird schon ein Tuch zur Inklusionsbarriere und desillusioniert hinsichtlich all der schönen Schlagwörter aus politischen Sonntagsreden.

Dabei haben die in erster Linie „Betroffenen“, die Schülerinnen und Schüler, zu 75% kein Problem mit dem Kopftuch. Ein Teil der Lehrkräfte und Schulleitungen hingegen befürchtet, dass eine Lehrerin mit Kopftuch dafür empfängliche Schülerinnen und Schüler implizit auffordert, mit religionsbezogenen Konflikten zu provozieren.

Die Sorgen sind ernst zu nehmen. Aber gerade vor diesem Hintergrund verschleiert m.E. die Diskussion um das Kopftuch die eigentliche Problematik, nämlich die Herausforderungen, vor denen die Berliner Schullandschaft zurzeit steht: Die Verschärfung von Segregation statt echter Vielfalt, der Bedarf an Unterstützung und Coaching durch unterschiedliche Expertisen an den Schulen sowie die entsprechende diversitätssensible Professionalisierung der Lehrkräftebildung. 

Wenn eine Lehrerin mit Kopftuch, den „Schulfrieden stören“ kann, muss sich insgesamt schon ein höchst problematisches Islambild bei Lernenden und Lehrenden etabliert haben. Je weniger Wissensexpertise diesbezüglich vorhanden ist, umso eingeschränkter sind die Handlungsmöglichkeiten der Lehrkräfte und umso größer ist die Gefahr, dass sich Lernende von fragwürdigen Glaubensangeboten angesprochen fühlen. Was Familie und Schule nicht bieten können, finden sie medial professionell aufbereitet in sozialen Netzwerken. Eine Lehrerin mit Kopftuch fungiert hier eher als Widerspruch zu fragwürdigen Schülerdeutungen und salafistischen Frauenbildern.

Berlin ist religiöse Diaspora, säkular und modern-emanzipatorisch. Laut der Werteforschung werden migrationsbedingte Religiosität und traditionelle Werte besonders als „kultureller Clash“ empfunden. Das Neutralitätsgesetz suggeriert hier nur auf den ersten Blick eine Lösung. Wir müssen uns aber selbst ehrlich fragen, wie viel Pluralismus trauen wir uns wirklich zu? Endet Wertschätzung von Vielfalt bei Falafel und Schawarma? Oder können wir muslimische Religiosität tatsächlich auch in dem Maße anerkennen, wie wir es im Rahmen der Möglichkeiten des Grundgesetzes nicht immer zulassen? Mit dem Bildungsaufstieg von Musliminnen mit Kopftuch wird unsere (Berliner) Säkularisierungsgewissheit konkret in Frage gestellt. Dieser gesellschaftliche Wandel verunsichert. Das Aushandeln eines modus (con)vivendi unter Anerkennung von Grund- und Menschenrechten ist damit eine gesellschaftliche Zukunftsaufgabe. Die Diskussion um das Kopftuch steht damit nur pars pro toto für die Frage im Kontext von Migration und Islam: Laizismus oder säkularer Rechtsstaat – mit Religionsfreiheit für alle?

Wie es sich nun mit dem Islam und der Demokratie verhält und wie und warum Menschen mit hybriden Identitäten – und Kopftuch –  Interessen gesellschaftlich artikulieren, sind auch Themen der politischen Bildung. Wäre diese in der Berliner Schule wieder existent, müsste man sich eventuell auch weniger Sorgen darum machen, ob tatsächlich von einer verschwindend kleinen Minderheit von Lehrerinnen mit Kopftuch die Gefahr politisierter, religiöser Indoktrination ausgeht. Über tausend angehende Politiklehrkräfte – mit und ohne Kopftuch – würden dazu gern in Zeiten des Lehrkräftemangels an Berliner Schulen mit den Schülerinnen und Schülern in medias res gehen. Aber ohne eine Stärkung des Faches sind dann vielleicht irgendwann nicht nur die (Politik-)Lehrerinnen mit Kopftuch weg.

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