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Typologie der Medienregulierungsstile in Europa

— Dirk Arnold (WWU Münster)

Vollständiger Beitrag im Tagungsband

 

Das Erkenntnisinteresse des Beitrags besteht darin, zu untersuchen, mit welchen Regulierungsinstrumenten (allgemein verbindlich erklärte Regeln und Entscheidungen) und -formen (Umsetzung durch staatliche wie private Regulierungsakteure) die 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf ihre für die öffentliche Kommunikation relevanten Medien (traditionelle Massenmedien wie Print und Rundfunk sowie publizistische Online-Medien) einwirken, um im öffentlichen Interesse liegende Ziele wie die Rechtmäßigkeit der Medieninhalte sowie Medienvielfalt sicherzustellen. Die Länderauswahl ist dabei verbunden mit der allgemeinen Annahme, dass länderübergreifende Prozesse wie die Digitalisierung und technische Konvergenz sowie die Europäisierung zu Veränderungen nationaler Medienregulierungsregime führen.

Die Medienregulierungsinstrumente und -formen der 27 EU-Mitgliedstaaten wurden deskriptiv in Form eines synchronen Ländervergleichs mittels einer qualitativen Dokumentenanalyse erfasst. Diese umfasst eine Untersuchung rechtlicher Dokumente (u. a. über EAI), Selbstdarstellungen (u. a. EPRA) sowie von Gutachten, die im Rahmen komparativ ausgerichteter Forschungsprojekte entstanden (v. a. OSF 2012, MEDIADEM 2011, CMCS 2012, EC 2011a, EC 2011b, EC 2009, EC 2006).

Zu den Untersuchungskategorien und Unterkategorien, die ausgewertet und verglichen wurden, gehören folgende:

  • die Integration publizistischer Online-Medien in Prozesse der Regelsetzung und -durchsetzung (Ausweitung des Anwendungsbereichs von Presse-/Mediengesetzen, Einbezug in Instrumente zur Vielfaltssicherung, Konvergenzbedingte Ausweitung der Kompetenzen und Zuständigkeiten von Regulierungsinstanzen),
  • Instrumente zur Förderung der Medienvielfalt (staatliche Subventionsmaßnahmen, Medienkonzentrationsbestimmungen, Programmnormen),
  • Unabhängigkeit und Effektivität der Regeldurchsetzung und -sanktionierung durch Medienregulierungsbehörden (MRB) (Verfahren zur Ernennung und Auswahl der Gremienmitglieder, praktische Unabhängigkeit gegenüber Akteuren der politischen Sphäre, Umsetzung der Aufsicht und Kontrolle über die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, Art und Weise der Sanktionierung von Regelverstößen),
  • Formen des Einbezugs nicht-staatlicher Akteure in die Medienregulierung (Formen der Co-Regulierung, Formen der Einbindung von zivilgesellschaftlichen Akteuren).

 

Die unterschiedlichen Ausprägungen in diesen Kategorien weisen dabei auf verschiedene Regulierungsstile und -ansätze in den 27 EU-Mitgliedstaaten hin. Im Ergebnis sind vier Typen europäischer Medienregulierungsstile festzustellen, die anhand der zentralen Kriterien und der in einer Gruppe vorherrschenden Ausprägungen charakterisiert werden: 

  • Staaten mit einem minimalistisch-liberaler Medienregulierungsstil (CY, CZ, EE, LT, LU, LV, PL) weisen einen niedrigen Grad an staatlichen Interventionen auf und die Einhaltung inhaltlicher Standards findet zum großen Teil in eigener Verantwortung der Medienunternehmen statt. Mithin ist für Staaten dieser Gruppe eine Politik des 'Laissez-faire' charakteristisch. Das bedeutet, dass "der Staat die Gestaltung der Wirtschaftsordnung den Privaten überlässt." (Seufert/Gundlach 2012: 75) Indikator hierfür ist, dass keine medienspezifischen Fusionskontrollen im Rahmen des allgemeinen Wettbewerbsrechts und keine oder nur geringe Bestimmungen zur Verhinderung horizontaler wie crossmedialer Medienkonzentration, die bei der Lizenzvergabe ansetzen, in diesen Staaten existieren. Allenfalls bestehen kulturpolitische Vielfaltsmaßnahmen dergestalt, dass Medien mit kulturellem Schwerpunkt oder Medien in Landes- oder Minderheitensprachen finanziell unterstützt werden. Bezüglich der Durchsetzung ist ein Vorgehen typisch, wonach staatliche Eingriffe so gering wie möglich gehalten und die Medienunternehmen sich weitgehend selbst überlassen werden. Sanktionsmaßnahmen sind tendenziell nachsichtig und die Strafen eher gering. Estland steht exemplarisch für einen sehr liberalen Regulierungsansatz, der durch staatliche Abstinenz gekennzeichnet ist. Der Staat übt seine Regulierungsvollmachten nur aus, wenn die Selbstkontrolle fehlschlägt (vgl. Loit 2013: 9). Ebenso typisch für Staaten dieser Gruppe ist die mangelnde Integration von Online-Medien in Instrumente der Medienregulierung. Insbesondere in Estland gibt es auf Grund der traditionell starken Betonung der Meinungsfreiheit einen starken Widerstand gegen jegliche Form der Regulierung von Online-Medien. Vielmehr sind Internetneutralität und das Recht auf freien Internetzugang Kernprinzipien estnischer Medien- bzw. Kommunikationspolitik (vgl. Haaro-Loit/Loit 2011: 19).
  • Staaten mit einem paternalistischen Medienregulierungsstil (BG, ES, GR, HU, MT, RO, SI, SK) weisen eine großen Anzahl an Rechtsvorschriften auf, die jedoch häufig widersprüchlich und oftmals nicht durchgesetzt werden. Generell ist die Umsetzung der Regeln nicht effektiv, um die im öffentlichen Interesse liegenden Regulierungsziele zu verwirklichen. Entweder besitzen die MRB nicht die nötige Autonomie, um die Gesetze durchzusetzen, oder die Maßnahmen der MRB sind unverhältnismäßig restriktiv und mit Einschränkungen der Medienfreiheit verbunden. Ein hoher Grad an informellen und klientelistischen Beziehungen zwischen den politischen Akteuren, den Mitgliedern der MRB und den Medienunternehmen ist charakteristisch für Regelsetzung und -durchsetzung in diesen Staaten, in denen traditionell enge Beziehungen zwischen den großen Medienkonzerne und politischen Entscheidungsträgern bestehen. Die in diesen Staaten erfolgte Einführung von Co-Regulierungsmaßnahmen kann vor diesem Hintergrund dazu führen, dass nicht die Selbstverantwortung der Unternehmen, sondern deren wirtschaftliche Interessen und die bestehenden Verflechtungen gestärkt werden.
  • In Staaten mit einem interventionistischen Medienregulierungsstil (BE, DK, FR, NL, SE) herrscht ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass die Aufrechterhaltung einer pluralistischen Medienstruktur im öffentlichen Interesse ist. Charakteristisch für Staaten dieser Gruppe ein interventistionistischer Ansatz, der sowohl ein komplexes umfassendes Subventionsmodell, dass auf gesetzlicher Grundlage, nach bestimmten Kriterien und durch unabhängige Instanzen umgesetzt wird, als auch höhere Ausstrahlungs- und Produktionsquoten für nationale Inhalte umfasst. Die Subventionsmaßnahmen wurden überdies auf publizistische Online-Medien ausgeweitet. Nicht zuletzt existieren in dieser Gruppe, mit Ausnahme Schwedens, korporatistische Regulierungsformen.
  • Staaten mit einem 'light touch'-Medienregulierungsstil (AT, DE, FI, GB, IE, IT, PT) spielen eine Vorreiterrolle bei der Anpassung ihrer Medienregulierung an Prozesse der Digitalisierung und der technischen Konvergenz. In diesen Staaten wurde die Regelsetzung und -durchsetzung auf Online-Medien in verschiedener Weise ausgeweitet, um die Zukunftsfähigkeit ihrer Medienmärkte sowie strukturelle und inhaltliche Medienvielfalt zu sichern. Es zeigt sich ein Wechsel von der Medienpolitik hin zur Kommunikationspolitik, bei der Infrastruktur und Inhalte integrierend betrachtet werden. Bei der Umsetzung der Regeln werden, anstatt restriktiver, weiche Maßnahmen wie Kooperationen und Konsultationen mit den Medienunternehmen und Journalisten für sinnvoller erachtet, um die Legitimität der Entscheidungen und die Effektivität zu erhöhen. Zudem werden Regulierungsaufgaben zunehmend an die regulierten Unternehmen selbst, in Form von Co-Regulierung, übertragen. Weiterhin existieren in diesen Staaten Vielfaltsinstrumente wie u. a. medienspezifische Wettbewerbsregelungen.

Im Vortrag werden überdies Grenzfälle bei der Zuordnung zu einem Typus aufgezeigt. Für einzelne Fälle einer Gruppe wird anschließend die Bedeutung der jeweiligen nationalspezifischen politisch-rechtlichen Traditionen, kulturellen Grundhaltungen und institutionellen Strukturen dargestellt. Schließlich werden die Typen europäischer Medienregulierungsansätze in Bezug gesetzt zu bestehenden Mediensystemklassifikationen.

EU-Mitgliedstaaten (verwendete Länderkürzel): Österreich (AT), Belgien (BE), Bulgarien (BG), Zypern (CY), Tschechische Republik (CZ), Dänemark (DK), Deutschland (DE), Estland (EE), Spanien (ES), Finnland (FI), Frankreich (FR), Großbritannien (GB), Griechenland (GR), Ungarn (HU), Irland (IE), Italien (IT), Litauen (LT), Luxemburg (LU), Lettland (LV), Malta (MT), Niederlande (NL), Polen (PL), Portugal (PT), Rumänien (RO), Schweden (SE), Slowenien (SI), Slowakei (SK).

 

Literatur

Alle Links wurden am 01.11.2013 überprüft.

 

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