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Schützen, Aufklären oder Erziehen? Kommunikationspolitische Forderungen als Folge der Wahrnehmung des politischen Einflusses von Online-Medien auf jüngere Menschen

— Marco Dohle, Uli Bernhard & Gerhard Vowe (HHU Düsseldorf)

 

Problemstellung und theoretischer Hintergrund

Mit dem Siegeszug von Massenpresse, Trivialliteratur und Kino zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchsen Befürchtungen, diese Angebote könnten vor allem Kinder und Jugendliche negativ beeinflussen. Als Reaktion wurde der sogenannte "Schundkampf" ausgerufen. Ein zentrales Element dieser sozialpolitischen Bewegung waren Zensurforderungen. Ebenso wichtig waren aber Aufklärungskampagnen und Erziehungsmaßnahmen (Maase, 2012).

Der Schundkampf steht beispielhaft für Reaktionen auf Medieninnovationen: Erstens sind diese Reaktionen mitbestimmt von subjektiven Annahmen über die Wirkungen neuer Angebote oder Medientechnologien. Meist dominiert Misstrauen (z.B. Schanne, 2001) – insbesondere bei Prognosen über Wirkungen auf jüngere Menschen. Diese beziehen Innovationen häufig schnell in ihr Medienrepertoire ein. Und ihnen wird unterstellt, unerfahrener, unkritischer und somit beeinflussbarer zu sein. Zweitens umfassen die Reaktionen ein breites Repertoire kommunikationspolitischer Instrumente: Sie reichen von regulativen und kommunikativen bis hin zu pädagogischen Maßnahmen.

Der Bedeutungszuwachs von Online-Medien hat eine gesellschaftliche Debatte über mögliche Folgen der Digitalisierung ausgelöst. Auch hier fällt der Blick auf die heranwachsende Generation (z.B. Spitzer, 2012): Jüngere Menschen sind sehr onlineaffin (van Eimeren & Frees, 2013), häufig werden sie als digital natives bezeichnet. Damit verbindet sich auch die Annahme, dass sie politische Informationen zu großen Teilen aus Online-Medien beziehen. Dies stärkt die Wahrnehmung, dass Online-Medien beeinflussen, wie jüngere Menschen politische Prozesse sehen und bewerten. Eine solche Wahrnehmung könnte die Meinung manifestieren, diesem Einfluss müsse kommunikationspolitisch begegnet werden.

Dieses "subjektive Modell der Medienregulierung" findet sich auch in kommunikationswissenschaftlichen Ansätzen wie dem Third-Person-Effekt (Davison, 1983) und dem Influence-of-Presumed-Media-Influence-Aproach (Gunther & Storey, 2003). Der letztgenannte Ansatz postuliert, Vor- und Einstellungen sowie Verhaltensweisen von Individuen seien auch davon beeinflusst, welche Beeinflussung durch Medien sie anderen Rezipienten unterstellen. Eine oft nachgewiesene Folge von Wahrnehmungen starker und zugleich unliebsamer Einflüsse sind Forderungen nach Begrenzungen der Medienmacht oder der Zensur von Inhalten. Untersucht wurde dies etwa für Pornografie oder Glücksspielwerbung, aber auch für Bereiche politischer Kommunikation wie negativer Wahlwerbung (Dohle, 2013; Feng & Guo, 2012).

Die Unterstützung restriktiver Regulierung ist aber nur eine denkbare Reaktion. Zumal bei wahrgenommenen politischen Online-Einflüssen auf jüngere Menschen lägen auch Forderungen nach Aufklärungsmaßnahmen oder Aktionen zur Medienkompetenzförderung nahe. Beides wurde in der Forschung zu wahrgenommenen Medieneinflüssen jedoch fast nie geprüft (eine Ausnahme mit Blick auf "parental mediation": Hoffner & Buchanan, 2002).

 

Hypothesen

Daher wurde in einer Befragungsstudie untersucht, welche kommunikationspolitische Reaktion als Folge der Wahrnehmung starker politischer Online-Einflüsse gefordert wird. Getestet wurden die beschriebenen Möglichkeiten des rechtlichen Schutzes, der Aufklärung und der Erziehung. Es galten die Hypothesen:

Je stärker der politische Online-Einfluss auf jüngere Menschen eingeschätzt wird, desto...

  • (H1) ...stärker ist die Zustimmung nach einer Kontrolle dieses Medieneinflusses (Schutz).
  • (H2) ...stärker wird eine Aufklärung über diesen Einfluss gefordert (Aufklärung).
  • (H3) ...stärker werden Maßnahmen zum kompetenten Umgang mit Online-Medien gefordert (Erziehung).

 

Methode

Die Hypothesen wurden mittels einer standardisierten Online-Befragung zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2012 überprüft (n = 485). Die Befragung wurde über ein Online-Access-Panel vorgenommen, durch Quotenvorgaben ist die Stichprobe annähernd repräsentativ für die nordrhein-westfälische Bevölkerung mit Internetanschluss.

Als unabhängige Variable wurde erhoben, wie stark aus Sicht der Befragten der wahlrelevante Einfluss von Online-Medien auf jüngere Menschen war (fünfstufige Skalen). Differenziert wurden vier Online-Angebote (Internet allgemein, facebook, Twitter, Parteien-/Kandidaten- webseiten) und vier Einflussdimensionen (wahrgenommener Einfluss auf Themenagenda, Kandidatenbild, Meinungsbildung, Wahlentscheidung). Die Items der Einflussdimensionen ließen sich – getrennt für jedes Online-Angebot – zusammenfassen (α = .88 bis .89).

Die abhängigen Variablen wurden mit je einem fünfstufigen Item erfasst. Die Befragten sollten angeben, wie sehr sie den Aussagen zustimmen, wonach der politische Einfluss des Internets eingeschränkt (Schutz), mehr über Internetgefahren aufgeklärt (Aufklärung) und in der Schule ein kompetenter Umgang mit dem Internet beigebracht werden sollte (Erziehung). Außerdem wurde eine Vielzahl an Kontrollvariablen gemessen.

 

Ergebnisse

Die Hypothesen wurden zunächst durch einfache Regressionen geprüft. Diese zeigen ein recht klares Bild: Je höher der wahrgenommene Einfluss auf jüngere Menschen durch das Internet allgemein, facebook und Twitter, desto signifikant stärker Forderungen nach Aufklärung und Erziehung; je höher dagegen der wahrgenommene Einfluss der Parteien-/Kandidatenseiten, desto signifikant stärker die Forderung nach Schutz.

Zusätzlich wurden hierarchische Regressionen durchgeführt. Dort wurden soziodemografische, politik- und Internetbezogene Variablen sowie die jeweiligen Items zur Einflussmessung einbezogen (siehe Tabellen 1-4). Die Ergebnisse sind hier differenzierter, stützen aber ebenfalls eher die Hypothesen 2 und 3: Starke wahrgenommene politische Einflüsse von facebook, von Twitter und tendenziell des Internets allgemein führen zu stärkeren Forderungen nach Aufklärung; mit Blick auf das Internet allgemein und facebook bestärken sie signifikant die Zustimmung zur "Interneterziehung". Die intensivere Befürwortung einer Online-Kontrolle zeigt sich lediglich als Folge eines starken wahrgenommenen Einflusses der Parteien-/Kandidatenseiten – insofern muss Hypothese 1 größtenteils abgelehnt werden. Der Erklärungsanteil des wahrgenommenen Einflusses ist in den genannten Fällen moderat.

 

Fazit und Diskussion

Die Befunde ermöglichen trotz Begrenzungen der Studie (Onlinenutzer-Stichprobe, Messung der kommunikationspolitischen Konsequenzen mit geringer Itemzahl) zwei zentrale Schlüsse: (1) In der Third-Person- und Influence-of-Presumed-Media-Influence-Forschung gilt die Zustimmung zu regulativ-restriktivem Maßnahmen in der Folge wahrgenommener Medieneinflüsse als "gold standard" (Cohen & Weimann, 2008, S. 386). Untersuchungen haben sich fast ausschließlich dem normativ betrachtet problematischsten Teil des kommunikationspolitischen Instrumentariums gewidmet. Die vorliegenden Ergebnisse deuten indes an, dass wahr- genommene starke politische Online-Einflüsse oft eher Wünsche nach Aufklärung und Erziehung intensivieren. Die Resultate zeigen zudem, dass differenziert werden muss, welche Online-Angebote im Blickfeld sind.

(2) Die Studie gibt eine spezifische Antwort auf die im Call for Papers aufgeworfene Frage, wie Medienwandel und Digitalisierung wahrgenommen und welche kommunikationspolitischen Folgen dieses Prozesses diskutiert werden. Hierzu wurden keine Gesetzesinitiativen oder Positionen konkreter Interessengruppen analysiert oder Experten befragt, sondern es wurde ein Blick in die Köpfe der Nutzer geworfen. Die so gewonnenen Daten liefern Hinweise, welche kommunikationspolitischen Maßnahmen unter welchen Umständen für angemessen gehalten werden. Der Nutzen solcher Studien für die Kommunikationspolitik kann somit darin liegen, Mikro- und Makroperspektive stärker miteinander zu verschränken, indem auf individueller Ebene die Akzeptanz von Vorgängen getestet wird, deren Durchführung auf gesellschaftlicher Ebene geplant ist. Im konkreten Fall lässt sich aus den Ergebnissen als Standpunkt für zukünftige Kommunikationspolitik ableiten, dass starken politischen Einflüssen digitaler Medien auf heranwachsende Generationen eher auf kommunikative und pädagogische, weniger dagegen auf restriktive Weise begegnet werden sollte.

 

Literatur

  • Cohen, J. & Weimann, G. (2008). Who’s afraid of reality shows? Exploring the effects of perceived influence of reality shows and the concern over their social effects on willing- ness to censor. Communication Research, 35, 382-397.
  • Davison, W. P. (1983). The third-person-effect in communication. Public Opinion Quarterly, 47, 1-15.
  • Dohle, M. (2013). Third-Person-Effekt. Baden-Baden: Nomos.
  • Feng, G. C. & Guo S. Z. (2012). Support for censorship: A multilevel meta-analysis of the third-person effect. Communication Reports, 25, 40-50.
  • Hoffner, C. & Buchanan, M. (2002). Parents’ responses to television violence: The third-person perception, parental mediation, and support for censorship. Media Psychology, 4, 231-252.
  • Gunther, A. C. & Storey, J. D. (2003). The influence of presumed influence. Journal of Communication, 53, 199-215.
  • Maase, K. (2012). Die Kinder der Massenkultur: Kontroversen um Schmutz und Schund seit dem Kaiserreich. Frankfurt am Main: Campus.
  • Schanne, M. (2001). Mediengeschichte. In O. Jarren & H. Bonfadelli (Hrsg.), Einführung in die Publizistikwissenschaft (S. 47-68). Bern: Haupt.
  • Spitzer M. (2012), Digitale Demenz: Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen. Droemer Knaur.
  • van Eimeren, B. & Frees, B. (2013). Rasanter Anstieg des Internetkonsums – Onliner fast drei Stunden täglich im Netz. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2013. Media Perspektiven, o. Jg., 358-372.

 

Tabelle 1: Einfluss auf die Zustimmung zu kommunikationspolitischen Maßnahmen – Internet

 

Tabelle 2: Einfluss auf die Zustimmung zu kommunikationspolitischen Maßnahmen – facebook

 

Tabelle 3: Einfluss auf die Zustimmung zu kommunikationspolitischen Maßnahmen – Twitter

 

Tabelle 4: Einfluss auf die Zustimmung zu kommunikationspolitischen Maßnahmen – Parteien- und Kandidatenwebseiten (PKWS)

 

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