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Von der Medien – zur Netzpolitik? Akteursnetzwerke und Wertesysteme in Deutschland am Beispiel der Kontroverse um das Leistungsschutzrecht für Presseverlage

— Sarah Ganter & Peter Maurer (Uni Wien)

Vollständiger Beitrag im Tagungsband

 

Dieser Beitrag untersucht politische Werte, Kausalannahmen und politische Strategien von Befürwortern und Gegnern der Einführung eines Gesetzes zum Schutz der Presseverlage vor der Verwertung ihrer Artikel durch gewerbliche Internetdienste, allen voran Google (Leistungsschutzrechts-Gesetz, LSR). Dieses Gesetz trat am 1. August 2013 als achtes Gesetz zur Änderung des Urheberrechts trotz hitziger Diskussionen in Teilen der Öffentlichkeit in Kraft. Seine Einführung ist ungewöhnlich, weil der Gesetzgeber hier mit der staatlichen Zurückhaltung im Bereich der Internetregulierung trotz starker Gegnerschaft bricht. Zudem gibt es bisher in keinem anderen europäischen Land eine vergleichbare, gesetzliche Regelung. Die Analyse der Werte, Argumente und politischen Programme, die sich in der Debatte gegenüber standen, basiert auf dem Advocacy-Coalition-Framework (ACF) (Sabatier/Jenkins 1999) und lehnt sich an die Cleavage Theorie an (Lipset/Rokkan 1967; Inglehart 1977; Korte 2002). Somit werden Akteurskonstellationen und Wertesysteme identifiziert, welche die Debatte um das LSR vorantrieben. Das LSR ist dabei der erste exemplarische Fall, in welchem Wertesysteme einer digitalen Gesellschaft in Deutschland bis hin zum Inkrafttreten eines Gesetzes ausgehandelt wurden.

Durch policy process tracing mithilfe einer qualitativen Dokumentenanalyse und einer ersten, vorläufigen quantitativen Inhaltsanalyse zur Präsenz des Themas in der Berichterstattung überregionaler Print- und Onlinemedien wurde herausgearbeitet, welche Werte in dem Gesetz berücksichtigt wurden und welche politische Strategie zum Erfolg führte. Zusätzlich sind Leitfadengespräche mit an dem Prozess beteiligten Akteuren (medienpolitischen Referenten, medienpolitischen Sprechern der 17. Legislaturperiode, Regierungsvertreter bzw. Vertreter aus den Ministerien und den Prozess begleitende Journalisten) geplant.

Die qualitative Dokumentenanalyse zieht zum einen Plenarprotokolle der Beratungen des LSR im Bundestag heran, als auch schriftliche Anfragen und Protokolle des Unterausschusses für Kultur und Neue Medien sowie des Rechtsausschusses welche das Thema behandelten. Zusätzlich werden Pressemitteilungen und Positionspapiere von außerparlamentarischen Akteuren analysiert. Dabei werden zunächst zwei Akteurskoalitionen mit unterschiedlichen politischen Zielen, Kausalannahmen und Werteordnungen identifiziert. Die Koalition der Befürworter einer gesetzlichen Regelung besteht im Kern nur aus den Presseverlagen. Den Befürwortern stand eine breite Koalition politischer und zivilgesellschaftlicher Akteure gegenüber, die ein gemeinsames Interesse an einer ungehinderten Zirkulation von Informationen im Internet eint. Sie setzt sich aus Google und der Internetwirtschaft (Bitkom), dem BDI, den deutschen Rechtsanwälten, einer fraktionsübergreifenden Gruppe von Netzpolitikern, Wissenschaftlern, Journalisten und Netzaktivisten zusammen. Auf politischer Seite argumentieren die Oppositionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken sowie die Jugendorganisationen aller Parteien gegen das Gesetz. Markant ist hierbei das späte Eingreifen der oppositionellen Akteure in den Prozess der Politikformulierung und -entscheidung. Zusätzlich blieb die Resonanz der traditionellen Printmedien auf das Thema lange Zeit gering. So wurden in den überregionalen Tageszeitungen Süddeutsche und Welt von 1. Juni 2009 bis 31. Juli 2013 nur 14 bzw. 8 Artikel zu dem Thema veröffentlicht. Auch in der Hochphase des Konflikts, während der parlamentarischen Auseinandersetzung, stieg die Zahl der Artikel pro Monat nicht dramatisch an. Ein etwas anderes Bild zeigt sich beim Online-Nachrichtenmedium Spiegel Online mit 52 Veröffentlichungen (siehe Abbildung).

 

Abb.1: Artikel zum Leistungsschutzrecht in führenden deutschen Medien im Zeitverlauf, 2009-2013

 

Durch die inhaltliche Analyse der Dokumente wurde geklärt, welche Gründe für bzw. gegen die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung genannt werden. Unterschiede zeigen sich besonders bei der Priorisierung bestimmter Werte und vermuteten Folgen des Gesetzes. Die Akteure, die das Gesetz befürworten, stellen das ökonomische Schutzinteresse der Verlage gegenüber der Vermeidung unerwünschter Nebeneffekte für die Informations- und Kommunikationsfreiheit in den Vordergrund. Qualitätsjournalismus sei nur rentabel, wenn die Produkte im Internet nicht unentgeltlich von Dritten genutzt werden könnten. Die Werteordnung der ablehnenden Akteure sieht demgegenüber die Sicherung der Informationsfreiheit für alle Internetnutzer als das höhere Schutzgut an. Sie sehen das LSR nicht als geeignetes Instrument zur Sicherung einer fairen Vergütung der verlegerischen Leistung, sondern als einseitige Subventionierung insbesondere der großen Verlage an, denen dadurch auch die Anreize genommen würden, innovative Geschäftsmodelle im Web auszuarbeiten (vgl. Deutscher Bundestag 2013a,b; VDZ/BDZV 2012; Zypries 2012; CDU/CSU Bundestagsfraktion 2012).

Die Wortfeldanalyse (vgl. Korte & Treibel, 2009) der Dokumente soll die unterschiedlichen belief systems (Wertesysteme), durch welche sich die Akteurskoalitionen definieren, bestimmen. In die Analyse einbezogen wurden sowohl LSR-spezifische, als auch positiv konnotierte, parteispezifische und medienpolitische Schlüsselbegriffe. Anhand der zur Gesamtwortzahl relativen Worthäufigkeit wurden hierbei mithilfe der Konkordanzmethode Wortfelder erhoben und gebildet, welche Hinweise über Wertsystemfelder geben. In einem zweiten Schritt wurden anhand der Cleavage-Theorie in Anlehnung an Lipset/Rokkan (1967), beziehungsweise an Inglehart (1977) und Korte (2002) mögliche, in der Debatte aufkommende parteipolitische Konfliktlinien identifiziert. Entlang der Konfliktlinien Regulierung vs. Selbstregulierung/Netiquette; Nutzer vs Verwertungsindustrie und Modernisierung vs Traditionalisierung wurden die parlamentarischen Dokumente auf die Valenz und Salienz der den jeweiligen Konfliktlinien zugeordneten Schlüsselbegriffe untersucht. Hierbei nimmt das Befürworterlager eher die Position der Regulierung; Traditionalisierung und Vertretungsindustrie ein, während die Opposition eher entlang der Linie Selbstregulierung/Netiquete; Nutzer und Modernisierung argumentativ aufgestellt ist.

Aus policy process tracing, vorläufiger quantitativer Inhaltsanalyse der Medienberichterstattung und der Wortfeldanalyse der politischen Schriften identifiziert dieses Papier folgende, mögliche Erklärungen für das erfolgreiche Lobbying der Presseverleger:

  1. Die Koalition Pro-LSR hat ihre Ressourcen frühzeitiger und effizienter zu Gunsten des LSR eingesetzt. Hierfür spricht in der prozessanalytischen Betrachtung z.B. insbesondere die Aufnahme des Gesetzesvorhabens in den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und FDP (2009), als auch in das Wahlprogramm der FDP (2009) und die Intervention der Verleger bei den Ministerien seit April 2009. 
  2. Die fehlende, bzw. verspätete Öffentlichkeit des Gesetzesvorhabens begünstigte das politische Handeln zugunsten des Gesetzes. Hinweise hierauf geben der Abgleich der parlamentarischen Ereignisse mit der ersten, groben Inhaltsanalyse der traditionellen Printmedien und Spiegel Online. Dies deutet auch mit Blick auf Punkt eins und auf die Berichterstattung darauf hin, dass die großen Verlagsgruppen ihre Gatekeeper – Position strategisch nutzten.
  3. Es handelt sich beim dem LSR nicht um ein innovatives Gesetz, sondern um eines, welches das Fortbestehen der vorhandenen Medienlandschaft unterstützt. Die Tatsache, dass das LSR trotz gegensätzlich lautender Vorankündigungen aus den Reihen der Opposition im Bundesrat von dieser teilweise unterstützt wurde, deutet daraufhin, dass die traditionellen Werte der Medienpolitik gegenüber denen der Netzpolitik im parteipolitischen Spektrum weiterhin stärker geschützt und verteidigt werden. Eventuell wirken die veränderten Markt – und Produktionsrealitäten als Katalysator für medienpolitisches Handeln und führen zusammen mit eventuellen Befürchtungen ob der publizistischen Macht der Verlage zur Schwächung eigentlich existierender Konfliktlinien, beziehungsweise im Falle der Regierungsparteien zu deren klaren Ausprägung.

Diese möglichen Erklärungen sollen durch Leitfadengespräche und durch eine detailliertere Inhaltsanalyse der Berichterstattung, die auf die genannten Sprecher und Argumente eingehen wird, weiter überprüft werden.

 

Literatur

  • CDU/CSU Bundestagsfraktion (2012): Diskussionspapier zum Urheberrecht in der digitalen Gesellschaft. [URL: http://blogfraktion.de/2012/06/12/diskussionspapier-urheberrecht-in-der-digitalen-gesellschaft/, abgerufen am 18.10.2013].
  • Deutscher Bundestag (2013a): Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Siebenten Gesetzes zur Änderung des Urheberrechtsgesetzes. Bundestags-Drucksache 17/12537.
  • Deutscher Bundestag (2013b): Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Dr. Rosemarie Hein, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Bundestags-Drucksache 17/11973.
  • Inglehart, Ronald (1977): The Silent Revolution: Changing Values and Political Styles among Western Publics. Princeton: Princeton University Press.
  • Korte, Karl-Rudolf (2002): Das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Eine Analyse der Großen Regierungserklärungen von Adenauer bis Schröder. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Korte, Karl-Rudolf & Treibel, Jan (2009): Inhaltsanalyse „Parteiprogrammatik und Parteirhetorik vor der Bundestagswahl 2009“. Grundsatzprogramme. [URL: http://www.zdf.de/ZDFxt/module/Wortwolken/spitzentimeline/content/pdf/Wissenschaftliche_Inhaltsanalyse_zu_den_Grundsatzprogrammen.pdf abgerufen am 02.10.2013].
  • Lipset, Seymour Martin & Rokkan, Stein (1967): Cleavage Structures, Party Systems and  Voter Alignments. An Introduction. In: Seymour Martin Lipset & Setin, Rokkan (Hrsg.): Party Systems and Voter Alignments. Cross-National Perspectives. New York: Free Press. S. 1–64.
  • Sabatier, Paul A.,/Jenkins-Smith, Hank C. (1999): The advocacy coalition framework: An assessment. In: Dies. (Hrsg.): Theories of the policy process. Boulder, CO: Westview Press, 117–68.
  • VDZ/BDZV (2012): Presseservice. Das Leistungsschutzrecht für Presseverlage. [URL: www.vdz.de/uploads/media/LSR_Infopapier.pdf, abgerufen am 18.10.2013].
  • Zypries, Brigitte (2012): Wir brauchen kein Leistungsschutzrecht für Presseverlage. Gastbeitrag von Brigitte Zypries, Justiziarin der SPD-Bundestagsfraktion für www.medienpolitik.net. [URL: http://www.medienpolitik.net/2012/08/wir-brauchen-kein-leistungsschutzrecht-fur-presseverlage/, abgerufen am 18.10.2013].

 

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