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Keine neutrale Verhandlungsbühne? Wie Zeitungen die Rolle des öffentlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter diskutieren

— Corinne Schweizer (Uni Zürich)

 

Medienorganisationen sind mit einer sich wandelnden Umwelt konfrontiert. Vor allem die Digitalisierung und die damit verbundene Konvergenz von Verbreitungs- und Empfangswegen sorgt für eine Neuordnung des Medienmarktes. Speziell im Fokus steht dabei der öffentliche Rundfunk. Es stellt sich beispielsweise die Frage, inwiefern der Leistungsauftrag auf neue Plattformen wie das Internet ausgeweitet werden soll (u.a. Lowe/Bardoel 2007, Lowe/Hujanen 2003, Moe 2008, Trappel 2008) oder ob die Gebührenfinanzierung noch legitim ist (Nikoltchev 2010, Picard 2006 und 2005). Mit Public Value bzw. Dreistufen-Tests werden neue Angebote ex ante geprüft und so auf Marktverzerrungsvorwürfe von Seiten privater Medien bzw. der Europäischen Union reagiert (u.a. Donders/Moe 2011; Karmasin/Süssenbacher/Gonser 2011; Kleist/Scheuer 2006, Kops 2008). Gleichzeitig wird man sich aber auch bewusst, dass neue Anbieter wie Google oder Facebook traditionelle Medien in Punkto Zuschaueraufmerksamkeit und Werbegelder in Bedrängnis bringen.

Aus publizistikwissenschaftlicher Sicht wäre eine breite gesellschaftliche Debatte über die Zukunft des öffentlichen Rundfunk wünschenswert. Aus Mangel an anderen Foren findet der öffentliche Diskurs aber vor allem in den Medien selbst statt. Gerade die Rolle von Zeitungen als Moderatoren dieser Debatte ist jedoch kritisch zu sehen, da die Verlage in einem direkten Konkurrenzverhältnis zum öffentlichen Rundfunk stehen, wenn es um die Etablierung von Online-Plattformen geht.

Bisherige Forschung zeigt denn auch, dass Medienjournalismus anforderungsreich ist: Beuthner und Weichert (2005: 23ff.) nennen fünf Selbstbeobachtungsfallen, unter anderem fehlende Transparenz aufgrund von Loyalität gegenüber dem eigenen Konzern. In verschiedenen empirischen Studien wurde dies bestätigt: Kemner, Scherer und Weinacht (2008) zeigen beispielsweise in ihrer Analyse der Berichterstattung zum Übernahmeversuch durch ProSiebenSat.1 Median AG durch den Springer- Verlag, dass auf "opportune Zeugen" zurückgegriffen wird. Gilens und Hertzmann (2000) kommen in einer Studie zum US-Amerikanischen 1996 Telecommunication Act zum Schluss, dass eigene Interessen der Medienunternehmen die Berichterstattung beeinflussten. Pfetsch (2004) und Jarren (1998) haben ausserdem Eigenheiten medienpolitischer Berichterstattung herausgearbeitet, unter anderem bezüglich Ressorts (oft als Querschnittsthema über verschiedene Ressort verteilt), Themenschwerpunkten (Schwerpunkt sind Gerichtsfälle) oder dominierenden Akteuren (zivilgesellschaftliche Akteure kommen kaum vor). Jarren (1998: 626) kommt zum Schluss, dass die Medien entweder gar nicht, parteilich oder selektiv über Medienthemen berichten und deshalb keine neutrale Verhandlungsbühne bieten.

Bisher wurde die Zeitungsberichterstattung zur Rolle des öffentlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter jedoch nur selten und nicht systematisch untersucht. Die wenigen aktuellen Studien zum Thema gehen entweder nur punktuell auf Presseberichte ein (z.B. Nord 2012), oder sie thematisieren nur einen Aspekt der Berichterstattung in einem Land (Grimberg 2005). Im deutschsprachigen Raum ist vor allem eine aktuelle Studie von Löblich (2011) zu nennen: In einer qualitativen Framing-Studie analysierte sie, wie das Online-Angebots des öffentlichen Rundfunks in Artikeln von fünf deutschen Zeitungen im Rahmen des 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag bewertet wird. Sie kommt zum Ergebnis, dass die Presse versucht hat, die Berichterstattung einzuengen, indem sie den Leserinnen und Lesern vor allem negative und wenig alternative Deutungsmuster anbot.

Der vorgeschlagene Vortrag soll einen breiteren Fokus haben: Statt von einem spezifischen Regulierungsereignis auszugehen, wird das Gesamtbild der Berichterstattung über mehrere Jahre (2008-2012) wiedergegeben. Es wird gezeigt, wie oft und zu welchen Themen über den öffentlichen Rundfunk berichtet wird, welche Akteure am Diskurs beteiligt sind und wie sie dessen gegenwärtiges und künftiges Engagement bewerten. Ausserdem interessiert, inwiefern sich die Befunde aus Deutschland auf andere Länder übertragen lassen. Denn: Obwohl der öffentliche Rundfunk weltweit mit denselben sich wandelnden Rahmenbedingungen konfrontiert ist, dürfte die Berichterstattung doch stark kontextabhängig sein. Es soll also folgende Frage beantwortet werden: Wie wird die Rolle des öffentlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter in der Zeitungsberichterstattung verschiedener Länder diskutiert?

Zur Beantwortung dieser Frage wird auf die Ergebnisse eines länderübergreifenden, komparativen Projekts zurückgegriffen, in dem Frames in der Berichterstattung über den öffentlichen Rundfunk in mehreren Zeitungen untersucht werden. Basierende auf Überlegungen aus der Literatur zu Inhalts- (Mayring 2007, Schnell/Hill/Esser 2011) und Frame-Analysen (u.a. Entman 1993, Semetko/Valkenburg 2000, Scheufele 2003, Matthes/Kohring 2004,) wurde in einem mehrstufigen Prozess ein Codebuch entwickelt, anhand dessen die Berichterstattung deduktiv analysiert wird. Im vorgeschlagenen Vortrag sollen Ergebnisse beispielsweise aus den Ländern Österreich, Irland und der Schweiz vorgestellt, verglichen und bisherigen Befunden gegenübergestellt werden.

Erste Resultate zeigen, dass sich der Umfang der Berichterstattung zwischen grossen und kleinen Ländern stark unterscheidet. Des Weiteren bestätigt sich die Annahme einer starken Kontextabhängigkeit: Während in Österreich häufig über die Leitung des Österreichischen Rundfunks (ORF) diskutiert wird, ist in der Schweiz der Streit zwischen Verlegern und der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft (SRG) über die Werbefinanzierung des Online-Portals des Schweizer Fernsehens das Hauptthema. In Irland ist der öffentliche Rundfunk RTÉ stark von der Wirtschaftskrise betroffen, weshalb die Reformpläne von Generaldirektor Noel Curran viel Aufmerksamkeit erhalten haben. Die Tendenz, den öffentlichen Rundfunk stärker negativ zu bewerten und vor allem Finanzierungsfragen zu thematisieren, findet sich jedoch in der Mehrheit der untersuchten Zeitungen.

 

Literatur

  • Beuthner, Michael; Weichert, Stephan Alexander (2005): Zur Einführung. Internal Affairs – oder: die Kunst und die Fallen medialer Selbstbeobachtung. In: Michael Beuthner und Stephan Alexander Weichert (Hrsg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Wiesbaden: VS, S. 13–41
  • Donders, Karen; Moe, Hallvard (Eds.) (2011): Exporting the public value test. The regulation of public broadcasters' new media services across Europe. Göteborg: Nordicom.
  • Entman, Robert M. (1993): Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm. In: Journal of Communication 43(4), S. 51–58.
  • Gilens, Martin; Hertzman, Craig (2000): Corporate Ownership and News Bias: Newspaper Coverage of the 1996 Telecommunications Act. In: The Journal of Politics 62(2), S. 369–386.
  • Grimberg, Steffen (2005): Das Gebührenduell. In: Michael Beuthner und Stephan Alexander Weichert (Hrsg.): Die Selbstbeobachtungsfalle. Grenzen und Grenzgänge des Medienjournalismus. Wiesbaden: VS, S. 209–218. 
  • Jarren, Otfried (1998): Medienpolitische Kommunikation. In: Otfried Jarren, Ulrich Sarcinelli und Ulrich Saxer (Hrsg.): Politische Kommunikation in der demokratischen Gesellschaft. Ein Handbuch mit Lexikonteil. Opladen [u.a.]: Westdeutscher Verlag, S. 616–629.
  • Karmasin, Matthias; Süssenbacher, Daniela; Gonser, Nicole (Hg.) (2011): Public Value. Theorie und Praxis im internationalen Vergleich. Wiesbaden: VS.
  • Kemner, Beatrice; Scherer, Helmut; Weinacht, Stefan (2008): Unter der Tarnkappe. Der Einsatz "volatiler Themen" und "opportuner Zeugen" in der Berichterstattung zum Übernahmeversuch der ProSiebenSat.1 Media AG durch den Springer-Verlag. In: Publizistik 53(1), S. 65–84.
  • Kleist, Thomas; Scheuer, Andreas (2006): Public service broadcasting and the European Union: From 'Amsterdam' to 'Altmark': The discussion on EU state aid regulation. In: Christian S. Nissen (Hrsg.): Making a difference. Public service broadcasting in the European media landscape. Eastleigh: Libbey, S. 163–183.
  • Kops, Manfred (2008): Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Aktuelle Debatten unter dem Einfluss von Karlsruhe und Brüssel. Jahrestagung des Instituts für Rundfunkökonomie. Münster: LIT.
  • Löblich, Maria (2011): Frames in der medienpolitischen Öffentlichkeit. In: Publizistik 56(4), S. 423–439.
  • Lowe, Gregory Ferrell; Bardoel, Jo (2007): From Public Service Broadcasting to Public Service Media. RIPE@2006. Göteborg: Nordicom.
  • Lowe, Gregory Ferrell; Hujanen, Taisto (2003): Broadcasting & Convergence: New Articulations of the Public Service Remit. RIPE@2002. Göteborg: Nordicom.
  • Matthes, Jörg; Kohring, Matthias (2004): Die empirische Erfassung von Medien-Frames. In: Medien und Kommunikationswissenschaft 52(1), S. 56–75.
  • Mayring, Philipp (2007): Qualitative Inhaltsanalyse. Grundlagen und Techniken. 9. Aufl. Weinheim, Basel: Beltz Verlag.
  • Moe, Hallvard (2008): Public Service Media Online? Regulating Public Broadcasters' Internet Services. A Comparative Analysis. In: Television & New Media 9(3), S. 220–238.
  • Nikoltchev, Susanne (2010): Öffentlich-rechtliche Medien: Geld für Inhalte. Straßbourg: Europäische Audiovisuelle Informationsstelle (Iris plus, 2010,4).
  • Nord, Lars (2012): Losing the Battle, Winning the War. Public Service Media Debate in Scandinavia 2000-2010. In Gregory Ferrell Lowe und Jeanette Steemers (Hrsg.): Regaining the initiative for public service media. Göteborg: Nordicom, S. 45–61.
  • Pfetsch, Barbara (2004): Geräuschkulisse des medienpolitischen Parteienstreits – Die Öffentlichkeit der Medienpolitik in Pressekommentaren. In: Christiane Eilders, Friedhelm Neidhardt und Barbara Pfetsch (Hrsg.): Die Stimme der Medien. Pressekommentare und politische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik. Wiesbaden: VS, S. 252–281.
  • Picard, Robert G. (2005): Audience Relations in the Changing Culture of Media Use. Why Should I Pay my Licence Fee? In Gregory Ferrell Lowe und Per Jauert (Hrsg.): Cultural Dilemmas in Public Service Broadcasting. Ripe@2004. Göteborg: Nordicom, S. 277–292.
  • Picard, Robert G. (2006): Financing public media: The future of collective funding. In Christian S. Nissen (Hrsg.): Making a difference. Public service broadcasting in the European media landscape. Eastleigh: Libbey, S. 183–210.
  • Scheufele, Bertram (2003): Frames – Framing – Framing-Effekte. Theoretische und methodische Grundlegung des Framing-Ansatzes sowie empirische Befunde zur Nachrichtenproduktion. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
  • Schnell, Rainer; Hill, Paul B.; Esser, Elke (2011): Methoden der empirischen Sozialforschung. 9. Auflage. München: Oldenbourg.
  • Semetko, Holly; Valkenburg, Patti (2000): Framing European Politics: A Content Analysis of Press and Television News. In: Journal of Communication 50(2), S. 93–109.
  • Trappel, Josef (2008): Online Media Within the Public Service Realm?: Reasons to Include Online into the Public Service Mission. In: Convergence: The International Journal of Research into New Media Technologies 14(3), S. 313–322.

 

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