Springe direkt zu Inhalt

Bürgerrecht vs. Urheberrecht – Das Framing der öffentlichen Debatte um ACTA

— Katrin Tonndorf (Uni Passau)

Vollständiger Beitrag im Tagungsband

 

Die Zeiten, in denen große Studios und Fernsehsender die Verbreitung von Videoinhalten kontrollieren, sind vorbei. Im Internet werden Filme nicht nur über offizielle Mediatheken, sondern auch über YouTube oder illegale Streaming-Plattformen geschaut. Seit Anfang des Jahrtausends wurde das Geschäftsmodell der etablierten Inhaltsproduzenten durch Napster und seine Nachfolger in Frage gestellt. Um die Kontrolle über die Inhalte wiederzuerlangen, hat die Unterhaltungsindustrie ihren Einfluss auf die Politik genutzt und neue Gesetze zur Stärkung des Urheberrechts initiiert (Cammaerts 2011, S.493; Haunss 2012, S.319; Dobusch/Quark 2012, S.29; Rutter 2010, S.411).

Während die politischen Akteure den Vorstellungen der Unterhaltungsindustrie weitgehend Folge leisteten, entwickelten Internetnutzer und Netzaktivisten ihre eigenen Vorstellungen zum Urheberrecht. Insbesondere im Internet, aber auch in den Offline-Medien treffen die Positionen der Akteursgruppen aufeinander. Im Kampf um die öffentliche Deutungshoheit haben Framingstrategien eine entscheidende Bedeutung. Entman (1993, S. 52) beschreibt Framing als "to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in communicating text, in such a way to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation and/or treatment recommendation for the item described". Beim Framing werden bestimmte Realitätsaspekte selektiert und besonders hervorgehoben. In der PR kann Framing gezielt zur Positionierung eines Themas in der Medienberichterstattung genutzt werden (Dahinder 2010, S. 215).

Der Einsatz von Framingstrategien in Konflikten zum geistigen Eigentum wurde bereits in mehreren Studien erforscht. Eine Untersuchung zur Einführung des Digital Right Management von Dobusch und Quark (2012) zeigt, dass die auf Erziehung und Abschreckung ausgerichteten Frames der Unterhaltungsindustrie zu negativen Nutzerreaktionen führten und eine Gegenmobilisierung auslösten (Dobusch/Quark 2012, S. 297). Im Gegensatz dazu wurde das Framing zur Einführung von Creative Commons positiv aufgenommen und konnte eine starke Mobilisierungswirkung entfalten (Dobusch/Quark 2012, S. 309). Die Interpretation des Internets als "kreative Allmende" unterstützt die Handlungspraktiken der Nutzer, während die Rahmung der Unterhaltungsindustrie diese kriminalisiert. Eine Studie von Haunss (2012) untersucht die Framingstrategien der Unterstützer und Gegner der IP-Enforcement-Richtlinie . Die Analyse zeigt, dass die Kontroverse vergleichsweise schwach in den Medien diskutiert wurde und ein Lobby-Konflikt blieb (Haunss 2012, S. 327). Im öffentlichen Diskurs dominierte der Kriminalitätsframe, nach welchem Produktpiraterie hohe Kosten für Unternehmen und Gesellschaft verursacht (Haunss 2012, S. 334). Die Gegner der IP-Enforcement-Richtlinie konzentrierten sich stattdessen auf Positionen im Zusammenhang mit Konsumenten- und Bürgerrechten (Haunss 2012, S.334). Aufgrund der Dominanz des Kriminalitätsframes wurde diese Sichtweise jedoch in der Öffentlichkeit übernommen (Haunss 2012, S. 338).

Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) stellt einen Höhepunkt im Urheberrechtskonflikt dar. Das seit 2006 maßgeblich von den USA, Japan und der EU verhandelte Abkommen führte 2012 zu europaweiten öffentlichen Protesten. Im Juli 2012 wurde das Abkommen aufgrund seiner zu vagen Formulierungen und der daraus resultierenden Gefährdung bürgerlicher Freiheiten vom EU Parlament abgelehnt (EU Parlament 2012). Der gesamte Prozess – von den Massenprotesten im Februar bis zur Ablehnung – wurde von umfangreichen öffentlichen Debatten begleitet.

Ausgehend von den bisherigen Untersuchungen ist anzunehmen, dass auch im ACTA Konflikt Framing eingesetzt wurde. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Framingstrategien der ACTA Gegner und Befürworter zu ermitteln und ihre Verwendung in der Medienberichterstattung zu untersuchen. Um die Ausbreitung der Frames nachzuverfolgen, wurde eine Input-Output-Analyse durchgeführt (vgl. Dahinder 2010, S.217). Die Input Frames wurden durch eine qualitative Analyse der Webseiten von ACTA Unterstützern und ACTA Gegnern aus Wirtschaft und Politik  gewonnen. In einem zweiten Schritt wurde das Vorkommen dieser Argumentationsmuster in der deutschen Berichterstattung vom 01. 01. 2012 bis 18. 07. 2012 analysiert. Hierfür wurden Artikel zum Thema ACTA aus auflagenstarken Print- und Onlinemedien extrahiert  und in einer quantitativen Inhaltanalyse ausgewertet (N=248). Die anschließende Reliabilitätsprüfung ergab einen Übereinstimmungskoeffizienten von 0,91.

Die Analyse der Webseiten zeigt, dass sowohl die ACTA-Gegner als auch die Befürworter jeweils einen Basisframe zu kulturellen und wirtschaftlichen Folgen des Abkommens aufbauen. Auch der Themenkomplex "Rechtssicherheit und -durchsetzung" wird von beiden Lagern durch eigene Positionen besetzt. Von den ACTA-Gegnern wird außerdem ein "Konsumenten und Bürgerrechtsframe" verwendet. Dessen Aussagen werden durch die Anhänger von ACTA zwar dementiert, aber nicht mit eigenen Interpretationen des Sachverhalts besetzt. Darüber hinaus wird von den ACTA-Gegnern der Verhandlungsprozess des Abkommens thematisiert.

In den 248 analysierten Artikeln werden die Frames der Befürworter und Gegner von ACTA 763 Mal genannt. Sowohl in den Bereichen Kultur als auch Wirtschaft folgt die Medienberichterstattung häufiger den Interpretationsmustern der ACTA-Befürworter. Von den 99 Framenennungen aus diesem Themenkomplex sind mehr als 75% unterstützend.

Über alle Frames hinweg dominiert jedoch der gegen ACTA gewandte "Konsumenten- und Bürgerrechtsframe" mit 222 Nennungen die Berichterstattung. Fast ebenso häufig wird der gegen ACTA gewandte Basisframe zur "Rechtssicherheit und -durchsetzung" eingesetzt (155 Nennungen), in dem die vagen Formulierungen von ACTA kritisiert und vor einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung gewarnt wird. In 119 Fällen gehen die Artikel auf das intransparente und von Lobbyeinflüssen geprägte Verfahren ein. Für diese drei Themenkomplexe haben die ACTA-Befürworter keine oder nur wenig schlagkräftige Frames. In der Folge dominieren die ACTA-Gegner die öffentliche Berichterstattung. Das erfolgreiche Framing zeigt sich auch darin, dass das EU Parlament bei seiner Ablehnung des Abkommens auf zentrale Positionen der ACTA-Gegner zurückgriff. 

Mit dem Ende von ACTA ist der Kampf um das Urheberrecht noch lange nicht entschieden. Im Rahmen des aktuell verhandelten Freihandelsabkommens (TAFTA) wird wieder über Regelungen zur besseren Durchsetzung des Urheberrechts im Internet diskutiert. Auch wenn es bisher noch nicht zu Protesten gekommen ist, sind die Argumente der Interessengruppen weiterhin die gleichen. Die Befürworter rechtfertigen eine verschärfte Rechtsdurchsetzung mit wirtschaftlichen Argumenten und der Forderung nach Rechtssicherheit im Internet. Gegner fürchten Totalüberwachung und Zensur. Was der Diskussion allerdings fehlt, ist eine Auseinandersetzung mit dem Urheberrecht an sich. Um den Konflikt zu lösen, müssen grundsätzlich neue Ansätze diskutiert werden, wie die Balance zwischen der Entlohnung des Urhebers und dem Gemeinwohl zukünftig ermöglicht werden kann. Die Zementierung bisherigen Urheberrechts ist hierfür kontraproduktiv.

 

Literatur

  • Cammaerts, Bart (2011) The hegemonic copyright regime vs. the sharing copyright users of music? In: Media, Culture & Society 33(3), S. 491–502.
  • Dahinden, Urs (2006) Framing. Eine integrative Theorie der Massenkommunikation. Konstanz: UVK.
  • Dobusch, Leonhard; Quack, Sigrid (2012) Organisation und strategisches Framing privater Regulierung: Urheberrecht zwischen Kreativität und Verwertung. In: Andreas Busch und Janette Hofmann (Hg.): Politik und die Regulierung von Information. Politische Vierteljahresschriften, Sonderheft 46, S. 273–318.
  • EU Parlament (2012) Europäisches Parlament lehnt ACTA ab. Pressemitteilung zur Plenartagung vom 04.07.2012. verfügbar unter: http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/content/20120703IPR48247/html/Europ%C3%A4isches-Parlament-lehnt-ACTA-ab.
  • Entmann, Robert M. (1993) Framing: Toward Clarification of a Fractured Paradigm. In: Journal of Communication 43(4), S. 51-58.
  • Haunss, Sebastian (2012) Innovation oder Piraterie? Framing-Konflikte um geistiges Eigentumsrecht in der EU. In: Andreas Busch und Janette Hofmann (Hg.): Politik und die Regulierung von Information. Politische Vierteljahresschriften, Sonderheft 46, S. 319-343.
  • Rutter, Jason (2010) Consumers, crime and the downloading of music. In: Prometheus 28(4), S. 411–418.

 

Zurück zum Tagungsprogramm