Wissen als Regelungsressource im Governance-Regime 'Jugendmedienschutz im Internet'
— Christian Wassmer (Uni Zürich)
1 Einleitung
Mit neuen Kommunikationsinfrastrukturen sind neue Regulierungsprobleme verbunden (vgl. Donges/Puppis 2010; Beck 2006: 202), wobei sich der hier thematisierte Regulierungsbedarf auf den Jugendmedienschutz im Internet bezieht. Anhand des Governance-Ansatzes wird auf die Regelungsressource Wissen eingegangen. Die Relevanz der Analyse kann in theoretischer und gesellschaftspolitischer Hinsicht verortet werden. Jugendmedienschutz wird im deutschen öffentlichen Diskurs als relevant erachtet (vgl. Hasebrink et al. 2012: 28; Theunert/Gebel 2007: 113; Hammer/Gutruf 2012). Insbesondere im Internet gewinnt das Thema an Relevanz, da Jugendliche viele Dienste intensiv nutzen, wobei auch die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung steigt (vgl. Haddon et al. 2012; Livingstone et al. 2012). Die Regelung des Jugendmedienschutzes im Internet ist jedoch schwierig (vgl. Vowe 2011: 8). Governance kann als funktionale Antwort auf Regelungsprobleme in modernen Gesellschaften betrachtet werden (vgl. Grande 2012: 571). Zudem können traditionelle Regelungsressourcen wie Recht und Geld nicht mehr so effektiv eingesetzt werden (vgl. Jarren 2005: 37-38), was den Stellenwert von Wissen erhöht. Vor dem Hintergrund, dass Regelungsentscheide wissensabhängiger werden (vgl. Jarren/Donges 2000: 254; Jarren 2005: 38), werden Analysen, die die Karrieren von Wissen in Diskursen untersuchen, wichtig (vgl. Weingart 2003: 102).
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Governance im Jugendmedienschutz im Internet
Fragen, die sich mit Internet Governance beschäftigen, erfreuen sich zunehmender Beliebtheit (vgl. Weber 2009: 153; van Eeten/Mueller 2012: 720). Dabei werden Konzepte diskutiert, welchen Selbst- und Ko-Regulierungsformen zugrunde liegen (vgl. Mansell 2012: 156-157; Kleinwächter 2006: 221; Latzer et al. 2002; Weber 2010: 3).
Für den Jugendmedienschutz im Internet ist Governance von grosser Bedeutung (vgl. Hasebrink/Lampert 2008: 10), wobei hohe Erwartungen in die stärkere Einbeziehung von Privaten gesetzt werden (vgl. Latzer et al. 2002: 7; Tambini et al. 2008: 157-167). Nach Hasebrink/Lampart (2008: 11/17) ist ein erfolgreicher Jugendmedienschutz durch eine Vernetzung verschiedener Akteure mit unterschiedlichen Kompetenzen zu bewerkstelligen (vgl. auch Löblich/Pfaff-Rüdiger 2012; Seufert/Gundlach 2012: 299-304; Schulz/Held 2002; HBI/EMR 2006: 143-144).
2.2 Dimensionen von Governance
Da Governance nach Benz (2004: 15) zu den komplexesten Begriffen der Sozialwissenschaften gehört und das Konzept von Pierre/Peters (2000: 7) als "notoriously slippery" bezeichnet wird, muss eine analytische Perspektive eingenommen werden (Benz et al. 2007: 18; Puppis 2010b: 134), welche sich hier an vier Dimensionen orientiert (vgl. Donges 2007a: 69; Donges 2007b: 8-9; Trute et al. 2004: 456; Mayntz 2006: 15; Schulz 2005: 65; Benz 2004: 15).
Governance kann als das "Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte" (Mayntz 2006: 15) definiert werden (vgl. auch Schuppert 2006: 395; Botzem et al. 2009: 16; Mayntz 2009: 11; Mayntz 2004: 67; Zürn 1996). Auf Grundlage dieser Definition liegt in der ersten Akteursdimension ein Verständnis von horizontaler Ausweitung von Government (vgl. Puppis 2010a: 59-62; Puppis et al. 2007: 74-75; Donges 2007b) zugrunde, wobei die Miteinbeziehung von weiteren Akteuren zentral ist.
Die zweite Dimension zielt auf Strukturen. Nach Mayntz (2006: 16) steht nicht mehr das Handeln des Akteurs im Mittelpunkt, sondern Regelungsstrukturen. Schuppert (2006: 459) spricht von Governance als Struktursteuerung, Schneider/Kenis (1996) von institutioneller Steuerung.
Schulz/Held (2002) postulieren, dass die prozessorientierte Betrachtung für Regelungsaufgaben von Vorteil ist. Die Arbeit fokussiert in der dritten Dimension deshalb auf Prozesse zur Konstitution von Regelstrukturen, wobei Interaktionsprozesse untersucht werden (vgl. Kooiman 2003).
In der vierten und zentralen Dimension wird auf Wissen eingegangen. Da zentrale Steuerungsmittel (Recht und Geld), zunehmend problematisch werden, und Wissen in heterarchischen Strukturen wichtiger wird (vgl. Voßkuhle 2008: 16; Schuppert 2007: 291; van den Daele/Neidhardt 1996: 14-15), hat Wissen als Regelungsressource an Bedeutung gewonnen. Über Wissen verfügt der Staat oft nicht exklusiv, sodass andere Akteure in Problemlösungen miteinbezogen werden müssen (vgl. Willke 1995; Willke 2000: 91; Schulz 2006: 173; Voßkuhle 2008: 18; Rammert 2003; Mirowski/van Horn 2005). Schuppert (2008: 266-267) spricht von Governance-Wissen als ein Wissen über das Design sowie die Nachbesserung von Regelstrukturen.
2.3 Governance durch Wissen – eigener Ansatz
Der theoretische Rahmen zieht den Governance-Ansatz mit den vier Dimensionen heran. Anhand des wissenspolitologischen Ansatzes (WpA) (vgl. Nullmeier/Rüb 1993) wurde der Stellenwert von Wissen in Governance-Regimes, welche die Konstitution einer Regelstruktur über den Jugendmedienschutz im Internet als Ziel haben, analysiert.
Mit dem WpA können Wandlungsprozesse in der Politik verständlich gemacht werden (vgl. Schindler 2006: 101). Erstens lassen sich mit dem WpA Marktanteile einzelner Deutungsmuster und Lernprozesse beschreiben, zweitens kann zwischen unterschiedlich politisch bedeutungsvollen Wissensformen differenziert werden (vgl. Nullmeier/Rüb 1993).
Das Ziel ist einerseits, Aussagen über den Stellenwert der Regelungsressource Wissen in Governance-Regimes im Jugendmedienschutz im Internet zu machen. Andererseits ist zu fragen, inwiefern die Regelungsdiskurse anhand des Governance-Ansatzes beschrieben werden können.
3 Methode
Die Analyse basierte auf einem einfachen Vergleich (vgl. Esser 2003: 437) zwischen den Regelungsdiskursen in Deutschland und der Schweiz. Dazu wurden Diskursanalysen durchgeführt. Die Auswahl des Analysematerials erfolgte nach Rössler (2010: 53-57), wobei 524 Artikel in Fachmedien und der Tages- und Wochenpresse eruiert wurden.
In der quantitativen Analyse dienten die Wissensarten des WpA als heuristisches Rahmenkonzept, wobei selbst zusätzliche Wissenskategorien entwickelt wurden. PuK-Wissen wurde herangezogen, da die Bereitstellung von Wissen in der Medienregulierung insbesondere der PuK zukommt (vgl. Jarren 2013). Zudem wurde auf die Einteilung von Regulierungsobjekten nach Puppis et al. (2004: 52) zurückgegriffen. Insgesamt wurden 45‘430 Codes vergeben.
In der qualitativen Analyse wurden die konkreten Regelungsvorstellungen sowie Wissensbestände der Akteure untersucht und dadurch Diskursverläufe von einzelnen Subdiskursen eruiert.
4 Vergleich der Regelungsdiskurse über den Jugendmedienschutz im Internet
In der Akteursdimension wurde festgestellt, dass der deutsche Diskurs durch das Hinzutreten von (Selbst-)Regulierungsakteuren, kirchlichen Akteuren und Anwälten breiter abgestützt ist. Wissenschaftliche Akteure nehmen in beiden Diskursen aufgrund der Nachfrage nach gehärtetem Wissen eine dominante Rolle ein (vgl. Voßkuhle 2008: 16; Weingart 2010: 120). In Deutschland fällt die wichtige Stellung der KJM3 auf, während die Selbstregulierungsakteure eine schwache Position innehaben. Dies geht einher mit der Tatsache, dass die KJM im Ko-Regulierungssystem teils eine zu dominante Rolle einnimmt. Zudem haben in beiden Diskursen die Medienakteure eine sehr schwache Stellung. In Deutschland ist insgesamt eine stärkere Ausweitung von Government sichtbar. Die Differenzen in der Regelstruktur der Schweiz und Deutschland werden durch den Diskurs somit reproduziert.
In der Strukturdimension war insbesondere von Interesse, welcher Stellenwert strukturellen Regelungszielen zukommt, wobei im deutschen Diskurs wesentlich mehr artikuliert werden. Dies wird auch an den thematischen Regelungsfeldern, wie bspw. der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Gliedstaaten ersichtlich. Das ausdifferenzierte deutsche Regelungssystem führt somit zu einer hohen Problemidentifikation. In der Schweiz zeigt sich eine geringe Etablierung eines strukturbezogenen Subdiskurses gegen Ende der Analysephase.
Hinsichtlich der Prozessdimension können die Diskursverläufe sowie die prozessualen Regelungsziele verglichen werden. Ein kontinuierlicher Diskurs findet lediglich in deutschen Fachmedien statt. Im Bereich der prozessorientierten Regelungszielen wurde im prozentualen Vergleich ersichtlich, dass die Werte nicht stark divergieren, wobei in Deutschland absolut wesentlich mehr artikuliert werden. Des Weitern zeigt die Analyse, dass im deutschen Diskurs prägnant mehr Wissen und zudem konstanter und in steigender Weise eingebracht wird. Auch politisch bedeutungsvolles Wissen hat einen höheren Stellenwert.
Der deutsche Diskurs lässt sich somit in einer Governance-Perspektive betrachten, während dies für den Schweizer Diskurs nicht (in dieser Intensität) der Fall ist. Zudem kommt der Ressource Wissen in Deutschland eine wesentlich grössere Bedeutung zu. Auf der Grundlage der empirischen Ergebnisse wurden für die Schweiz Best Practices abgeleitet.
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