Den Opfern des Nationalsozialismus
News vom 27.01.2021
Den Opfern des Nationalsozialismus
Zum 27. Januar 2021
Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hier waren mehr als 1,1 Millionen Menschen ermordet worden, die meisten von ihnen Jüdinnen und Juden, auch Sintizze und Sinti, Romnja und Roma sowie weitere rassifizierte, marginalisierte und kriminalisierte Personen. Seit 1996 wird in der Bundesrepublik am 27. Januar der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.
Das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft sowie das Team des Instituts für Vorderasiatische Archäologie, welches über das Gelände Ihnestraße 22/24/26 forscht, schließen sich diesem Gedenken an.
Das Otto-Suhr-Institut hat eine sensible Beziehung zur nationalsozialistischen Geschichte. An einem seiner Standorte, in der Ihnestraße 22 in Berlin-Dahlem, befand sich eine Produktionsstätte rassistischen, antisemitischen und behindertenfeindlichen Wissens, die im Nationalsozialismus eine große Bedeutung erlangen sollte: das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik (KWI-A). Hier forschten bereits ab 1927 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an der Frage, wie Vererbung beim Menschen funktioniert. Eine Frage, die von Beginn an mit Vorstellungen darüber verknüpft war, wer Kinder bekommen sollte und wer nicht. Eine Frage, die während des Nationalsozialismus mit Entscheidungen darüber verknüpft wurde, wer leben sollte und wer nicht.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik degradierten Menschen zu Forschungsobjekten und entmenschlichten sie: Jüdinnen und Juden, Sintizze und Sinti, Romnja und Roma, Be_hinderte, Schwarze Menschen, Asiatinnen und Asiaten, Asiatisch-Deutsche, sowjetische Kriegsgefangene, arme Menschen.
Ab 1934 bereiteten Mitarbeiter des Instituts als sogenannte „Erbgesundheitsrichter“ und „Gutachter“ die Zwangssterilisierung von Personen vor, die als „erbkrank“ kategorisiert wurden oder aus rassistischen Motiven für unerwünscht erklärt wurden. Auf diese Weise wirkte das Institut daran mit, dass bis 1945 etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert wurden.
Die Ihnestraße 22 ist auch auf schreckliche Weise mit dem Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verbunden. Der zweite Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, Otmar von Verschuer, war eng mit dem Mediziner Josef Mengele verbunden, der als sogenannter Lagerarzt in Auschwitz stationiert war. Von Verschuer schreckte nicht davor zurück, diese Verbindung für Forschungen des Instituts zu nutzen. Er ließ sich selbst Blutproben von mehr als 200 im Lager internierten Personen zusenden, um an ihnen zu experimentieren. Die Namen der Opfer sind bis heute nicht bekannt.
Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik nahm für seine Forschungen auch die Ermordung von Internierten in Kauf. Mindestens vierzehn Mitglieder der Sinti-Familie Mechau wurden im März 1943 von Oldenburg nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Sie wurden alle im Lager ermordet. Von einigen ließ sich die KWI-A-Mitarbeiterin Karin Magnussen Körperteile nach Dahlem zusenden.
Ohne Wissenschaft sind nationalsozialistische Massensterilisierung und nationalsozialistischer Massenmord nicht denkbar. Human- und Biowissenschaften beförderten die Idee unterschiedlicher Lebenswertigkeit. Sie unterstützten die Erfassung und Verfolgung von Menschen, deren Präsenz der völkischen Vision des Nationalsozialismus widersprach. Zugleich profitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von der Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nazis. An den Forschungen des KWI-A zeigt sich das überdeutlich.
Am heutigen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
erinnern wir
an einem Ort der Forschung
an den Anteil, den Wissenschaft
an nationalsozialistischer Verfolgung und Vernichtung hatte.
Wir gedenken
der Opfer der Forschungen und Tätigkeiten des
Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik,
der Opfer von Shoah, Porajmos, Vernichtungskrieg,
nationalsozialistischer Entmenschlichung und Ermordung.
Ihrem Andenken gebührt Ehre.