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Transnationales linguistisches Kapital der Bürger und der Prozess der Europäischen Integration

News vom 08.02.2010

von Jürgen Gerhards, in: Monika Eigmüller & Steffen Mau (Hrsg.) (2010): Gesellschaftstheorie und Europapolitik. Sozialwissenschaftliche Ansätze zur Europaforschung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 213-244.

 

Der Prozess der lebensweltlichen Integration im Sinne einer Zunahme der Kommunikation zwischen den Bürgern verschiedener Mitgliedsländer, in denen bekanntlich unterschiedliche Sprachen gesprochen werden, wird entscheidend begünstigt, wenn die Bürger mehrere Sprachen beherrschen. In welchem Maße dies der Fall ist und wie man die Unterschiede in der Ausstattung mit transnationalem, linguistischem Kapital – der Begriff wird an späterer Stelle mit Rückgriff auf die Theorie Bourdieus erläutert – erklären kann, ist das Thema der folgenden Ausführungen. In einem ersten Schritt werde ich die Sprachpolitik der Europäischen Union beschreiben. Diese ist durch zwei Merkmale gekennzeichnet: die Akzeptanz der sprachlichen Heterogenität der Europäischen Union und der Verzicht auf eine Politik der sprachlichen Homogenisierung einerseits und die Förderung der Mehrsprachigkeit der Bürger Europas zur Verbesserung der Integration Europas andererseits. Im zweiten Schritt analysiere ich auf der Basis einer Auswertung einer Eurobarometer-Befragung, über welches linguistische Kapital die Bürger Europas verfügen, das sie in die Lage versetzt, am Europäisierungsprozess zu partizipieren. Die Ergebnisse werden zeigen, dass die Kompetenzen der Mehrsprachigkeit zwischen den Ländern und innerhalb der Länder sehr unterschiedlich verteilt sind, es ähnlich wie bei anderen Kapitalien eine Ungleichheit in der Kapitalausstattung der Bürger gibt. Im dritten Schritt gehe ich der Frage nach, wie man diese Ungleichheit erklären kann. Dazu werden zuerst einige Hypothesen formuliert, die dann durch eine multivariate Analyse überprüft werden. Die Mehrsprachigkeit der Bürger kann durch folgende Faktoren relativ gut erklärt werden: den Grad der Modernität und die Größe eines Landes, in dem jemand lebt, die Verfügung über institutionalisiertes kulturelles Kapital und die Klassenlage des Befragten. Dieser Befund bestätigt andere Ergebnisse, die gezeigt haben, dass es vor allem die oberen Schichten sind, die vom Prozess der systemischen europäischen Integration profitieren, weil sie in der Lage sind, daran zu partizipieren.

 

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Soziologie - Euiropäische Gesellschaften