Diversität (er-)leben und Integration (mit-)gestalten
Birgitt Röttger-Rössler, Franziska Seise
Im Kontext der sogenannten „Flüchtlingskrise“ ist der Umgang mit sozialer und kultureller Vielfalt nicht nur zu einem umkämpften politischen Thema in Deutschland geworden, sondern hat auch zahlreiche, zivilgesellschaftliche ‚Integrationsprogramme‘ ausgelöst, die darauf abzielen, migrierten oder geflüchteten Menschen bei der Eingliederung zu helfen. Zunehmend setzen sich hier Formate durch, die Integration als dialogisches Geschehen begreifen und entsprechend in der Betreuungsarbeit dyadische Konstellationen, z.B. in Form von Tandem-Mentoring vorsehen.
In dem Forschungsprojekt setzen wir uns mit ‚Patenschaften‘ auseinander, in denen Minderjährigen erwachsene MentorInnen zur Seite gestellt werden. Unser Interesse gilt der Beziehungsgestaltung und den Prozessen der Wissensvermittlung in dieser spezifischen Form des Tandem-Mentoring. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie in solchen Mentoringbeziehungen Diversität erlebt und gelebt, d.h. in konkreten Interaktionen ausgestaltet wird und inwieweit sich dies auf den Wissenstransfer auswirkt. Wie gehen MentorInnen und Mentees mit Differenzen um, die sie in Wertvorstellungen, Orientierungen und Verhaltensstilen zwischen einander wahrnehmen und wie werden diese ggf. durch Dritte mediiert? Wie gestalten sie im Umgang miteinander die grundsätzlich asymmetrische Konstellation der Mentorate aus, in welchen (erwachsene) MentorInnen als Wissensvermittler fungieren und (minderjährige) Mentees die Unerfahrenen und Lernenden sind? Welche Ziel- und Wertsetzungen sowie Erziehungsvorstellungen prägen die verschiedenen Patenschaftsinitiativen und inwieweit werden diese von den einzelnen MentorInnen geteilt und umgesetzt? Wie ist jeweils die MentorIn-Mentee-Beziehung konzeptualisiert und auf Basis welcher Kriterien werden MentorInnen sowie Mentees ausgewählt und zusammengebracht? In welcher Form werden die Familien der minderjährigen Mentees mit in den Prozess eingebunden? Welche affektiven und emotionalen Dynamiken lassen sich innerhalb dieser vielschichtigen Beziehungsgeflechte beobachten und inwieweit beeinflussen diese die jeweiligen Interaktionen?
Die Grundausrichtung des Projektes ist durch die Perspektive der angewandten Anthropologie und damit durch partizipative und kollaborative Forschungsansätze geprägt. Wir streben ein Forschen mit den jeweiligen Akteuren an und sehen ein wichtiges Ziel im konkreten Anwendungsbezug unserer Arbeit. Im Hinblick auf Parallelen zwischen verschiedenen Initiativen zivilgesellschaftlicher Erziehungshilfe und der Vermittlung von Sozialisationsstilen in transkulturellen Feldern ist eine enge Kooperation mit dem Teilprojekt A 01 des SFB Affective Societies vorgesehen.