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Großes Potenzial, aber kein Selbstläufer: Neue Studie zu „Wählen mit 16“

News vom 30.07.2020

Politikwissenschaftler der Freien Universität nahmen mit großer Umfrage Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen in den Blick, bei denen 16-Jährige einmal wählen durften, einmal nicht

Die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Thorsten Faas und Arndt Leininger, PhD, vom Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin haben in einer von der Otto Brenner Stiftung (OBS) finanzierten Studie bei 15- bis 24-Jährigen empirisch untersucht, welche Chancen und Risiken mit einer derzeit viel diskutierten Absenkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahren verbunden sind. „Wir finden wenig, was gegen eine Absenkung des Wahlalters spricht“, bilanziert Projektleiter Arndt Leininger. Man müsse allerdings insbesondere darauf achten und hinwirken, dass mit der Absenkung des Wahlalters nicht auch die soziale Ungleichheit der Wahlbeteiligung ansteige, sagt Thorsten Faas: „Ein Selbstläufer ist das nicht.“ OBS-Geschäftsführer Jupp Legrand erläutert: „Mit dieser Studie wollten wir die strittige, häufig vor allem normative Diskussion rund um das Wahlalter empirisch unterfüttern und gleichzeitig Orientierungspunkte für mögliche gesellschaftspolitische Weichenstellungen geben.“

Kritikerinnen und Kritiker einer Absenkung führen häufig an, jungen Menschen unter 18 Jahren fehle es an der nötigen „Reife“, um wählen zu können. Befürworterinnen und Befürworter halten dem entgegen, dass Interesse und Wissen nicht aus einem „Reifungsprozess“ entstünden, sondern gerade durch die Möglichkeit der Teilhabe. „Das stimmt nach den Erkenntnissen aus unserer Studie so beides nicht“, sagt Thorsten Faas, „wir finden schon bei 15-Jährigen ein recht ausgeprägtes Interesse an und Wissen über Politik – und das unabhängig vom gültigen Wahlrecht in beiden untersuchten Bundesländern.“

Eine umfassende Debatte über das Wahlalter erfordere aber, dass man den Blick ausweite und auch das private und schulische Umfeld junger Menschen und das damit verbundene Informationsumfeld einbeziehe. Denn gerade bei jüngeren Menschen sei es wahrscheinlicher, dass sie noch die Schule besuchen und zu Hause wohnen – Faktoren, die eine Teilnahme an einer Wahl eher begünstigten und daher für eine Absenkung des Wahlalters sprechen. Aber genau hier zeige sich die Ambivalenz der möglichen Absenkung, sagt Thorsten Faas. „Wer ist mit 17 oder 18 noch in der Schule? In welchen Elternhäusern wird viel über Politik gesprochen? Hier sehen wir deutliche Unterschiede zwischen jungen Menschen“, erläutert der Politikwissenschaftler. So sei es zwar möglich, durch eine Senkung des Wahlalters junge Menschen zu Hause oder in der Schule mit Politik in Verbindung zu bringen, allerdings vor allem in privilegierten heimischen oder schulischen Kontexten. Im Sinne einer gleichmäßigen Beteiligung und damit einer demokratischen Gleichheit sei eine Absenkung des Wahlalters „kein Selbstläufer.“ Um zu bewirken, dass möglichst viele junge Menschen wählen gehen, sollten daher gezielte flankierende Maßnahmen zu einem herabgesetzten Wahlalter ergriffen werden.

Die Wissenschaftler machten sich in ihrer Studie einen besonderen Umstand der beiden Landtagswahlen am 1. September 2019 in Brandenburg und Sachsen zunutze: Während die 16- und 17-Jährigen auf der brandenburgischen Seite der Landesgrenze an diesem Tag wählen durften, konnten in Sachsen junge Menschen erst ab 18 Jahren zur Wahlurne gehen. „Diese besondere Situation hat es für uns möglich gemacht, präzise festzustellen, was das Erreichen der Wahlaltersgrenzen mit jungen Menschen macht“, erläutert Projektleiter Leininger. Das Autorenteam lud junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren in beiden Bundesländern postalisch zu einer Umfrage ein und befragte sie online zu ihren politischen Grundeinstellungen, ihrer Wohn- und Schulsituation und ihrem Kommunikations- und Informationsverhalten. „In repräsentativen Umfragen mit insgesamt nur 1.000 oder 2.000 Befragten werden immer sehr wenige junge Menschen interviewt, sodass man über diese Gruppe, gerade auch bezogen auf Wahlen, nur wenig erfahren kann. Mit fast 7.000 Befragten konnten wir hier viel tiefer bohren“, erläutert Projektleiter Faas.

Ausführlichere Ergebnisse der Jugendwahlstudie 2019 finden sich im Arbeitspapier 41 „Wählen mit 16? Ein empirischer Beitrag zur Debatte um die Absenkung des Wahlalters“ der Otto-Brenner-Stiftung. Es kann auf der Homepage der Stiftung unter https://www.otto-brenner-stiftung.de/waehlen-mit-16 kostenfrei heruntergeladen werden.

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unter 3 - Der Phoenix-Politik-Podcast mit Thorsten Faas und Erhard Scherfer
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