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PrEP-Intimitäten in Berlin: Affektive Ambivalenzen und verkörperte Subjekte der biomedizinischen HIV-Prophylaxe

PrEP-Intimitäten in Berlin

PrEP-Intimitäten in Berlin

Max Schnepf

Seit dem Ausbruch der HIV/AIDS-Epidemie Anfang der 1980er Jahre galten das Kondom und später die HIV-Therapie als einzige Möglichkeiten, eine sexuelle Übertragung des Virus zu verhindern. Ein kürzlich eingeführtes Medikament verspricht nun eine neue Ära in der HIV-Prävention: Die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) bietet einen hocheffektiven Schutz vor einer HIV-Infektion. Seit September 2019 werden die Kosten für Menschen mit erhöhtem Ansteckungsrisiko von den gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland übernommen – insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben. Die Einführung der biomedizinischen Prophylaxe ist dabei von Ambivalenzen geprägt: Noch vor ihrer Einführung war die PrEP an Hoffnungen auf ein Ende der HIV/AIDS-Epidemie und auf eine Destigmatisierung der Infektion gekoppelt. Zugleich bringt das Medikament neue Moralisierungen von kondomfreiem Sex mit sich, und damit verbunden Ängste vor der Ausbreitung anderer sexuell übertragbarer Krankheiten.

Das Projekt „PrEP-Intimitäten in Berlin“ erforscht die multiplen soziokulturellen Effekte, die mit der Einführung der PrEP verbunden sind. Es stellt die Frage, welche sozialen und politischen Veränderungen die PrEP bewirkt und welchen Einfluss sie auf schwule Sexualität und die queere Community in Berlin hat: Welche politischen und epidemiologischen Hoffnungen und Befürchtungen ruft das Pharmazeutikum hervor? Wie beeinflusst es sexuelle Phantasien und intime Begegnungen? Welche Bedeutung erfährt Sex ohne Kondom – auch vor dem Hintergrund der 1980er/90er Jahre? Welchen Stellenwert nimmt HIV heute im Leben schwuler Männer sowie in sexuellen Communitys in Berlin ein?

Zur Untersuchung dieser Veränderungsprozesse nutzt das Projekt Methoden der qualitativen Sozialforschung, insbesondere einen ethnographischen Ansatz. Dieser umfasst die teilnehmende Beobachtung in Präventionskontexten und unterschiedliche Interviewformate mit (potentiellen) PrEP-Nutzer*innen, ihren Partner*innen und denjenigen, die die PrEP aus unterschiedlichen Gründen ablehnen. Die ethnographische Erhebung wird durch semi-strukturierte Interviews mit Expert*innen auf dem Feld der HIV-Prävention und die Analyse epidemiologischer, politischer und medialer Diskurse ergänzt.

Insbesondere verknüpft das Projekt dabei queer- und affekttheoretische Einsichten zu Intimität mit medizinanthropologischen Arbeiten zu Pharmazeutika und Biomedikalisierung. Es versteht die PrEP als affektive, diskursive und materielle Formation im Leben, in den Erfahrungen und Körpern von PrEP-Nutzer*innen und ihren Partner*innen. Dabei situiert es die PrEP im spezifischen Kontext von Berlin als Stadt mit einer hohen internationalen Anziehungskraft und dem Ruf sexueller Liberalität. Das Projekt untersucht, wie die biomedizinische Prophylaxe in gesundheitspolitischen Fachöffentlichkeiten, subkulturellen Diskursen und therapeutischen Situationen verhandelt wird. Es verfolgt die Frage, wie die PrEP in ihren unterschiedlichen Kontexten verkörperte Subjekte formt und intime Begegnungen (mit)gestaltet.

Damit möchte das Projekt handlungsrelevante Einsichten zur HIV-Prävention hinsichtlich möglicher Potentiale und gesellschaftspolitischer Ausschlüsse durch die PrEP beisteuern. Gleichzeitig leistet es einen Beitrag zur Queer und Medical Anthropology, indem es intime Verschränkungen biomedizinischer Technologien mit Konfigurationen von Geschlecht und Sexualität konzeptuell ausleuchtet.

 

Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft

Leitung: Prof. Dr. Hansjörg Dilger

Wissenschaftlicher Mitarbeiter: Max Schnepf

Studentischer Mitarbeiter: Vincent David Kuhr Jopia

Laufzeit: April 2022 – März 2024

SFB 1171 Affective Societies
BGSMCS
Berlin Southern Theory Lecture