Call for Papers
(PDF Version des Call for Papers hier)
Während Geschlechterverhältnisse im Journalismus bereits seit den 1980er Jahren Gegenstand von Analysen sind (als Überblick Klaus, 1998), wurden Fragen von Diversität im Journalismus wie in der Journalismusforschung lange vernachlässigt und jüngst zunehmend zum Thema. Deutschland ist diverser geworden und dies muss auch die Kommunikationswissenschaft und insbesondere die Journalismusforschung zur Kenntnis nehmen und sich mit komplexen Fragen der Erforschung von Diversität im Journalismus auseinandersetzen. Wie kann Diversität gemessen, erfasst, beschrieben werden? Welche theoretischen, methodischen, empirischen Zugriffe benötigt die Journalismusforschung? Was bedeutet Diversität überhaupt und entlang welcher Dimensionen kann sie gemessen werden? Welche Rolle spielen hier Sprache und Bilder? In welchem Verhältnis stehen diese Fragen zu ‚klassischen‘ Forderungen nach Diversität, die in der Journalismusforschung eine lange Tradition haben (Vielfalt von Quellen, Meinungen, Darstellungsformen etc.).
Die Tagung soll neben empirischen Fragen auch Raum für die kritische Auseinandersetzung mit dem Diversitätsbegriff geben sowie sich analytisch mit dem Verhältnis von Geschlecht und Diversität befassen. Die Journalismusforschung folgt keinen naiven Abbildtheorien – wir wissen, dass Journalismus die Gesellschaft nicht abbildet – dennoch werden normative Ansprüche an die Repräsentation von Diversität gestellt, sowohl auf Ebene der Journalist:innen als Kommunikator:innen als auch auf Ebene des journalistischen Outputs (Köhler, 2020; Lünenborg & Medeiros, 2021).
Dabei werden widersprüchliche Erwartungen aus gegenläufigen gesellschaftlichen Lagern formuliert. Einerseits stellen marginalisierte Gruppen legitime Repräsentationsansprüche an den Journalismus bzw. begründen auch seinen Autoritätsverlust in der mangelnden Diversität. Traditionelle journalistische Medien reagieren zuweilen mit Vorbehalten auf diesen veränderten Legitimationsdruck, zugleich produzieren sie selbst neuere (tw. selbstreflexive) Formate, insbesondere auf Social Media (z.B. Angebote von funk). Parallel dazu entsteht ein neues Spektrum an Content Creators, die digitale Kommunikationsstrukturen nutzen, um selbst Formate mit hohem Anspruch an Diversität zu etablieren.
Auf der anderen Seite werden Stimmen lauter, die gerade diese Diversitätsansprüche zu verhindern und dabei Journalismus als Institution und seine demokratischen Funktionen zu destabilisieren versuchen. Das zeigen u.a. die Wiederaufnahme der „Lügenpresse“-Vorwürfe (Krüger & Seiffert-Brockmann, 2018; Neverla, 2017), massive Desinformationskampagnen bspw. zur COVID-19 Pandemie sowie verbale und körperliche Angriffe auf Journalist:innen. Dabei kommen Fragen auf wie, wer diese Akteur:innen sind, die diese neueren Repräsentationsansprüche abwehren, was sie verteidigen wollen und welche konkurrierenden Ansprüche dabei sichtbar werden oder wie Diversität im Journalismus zum Thema gemacht wird und welche Konfliktpotentiale wie überquellende Kommentarspalten etc. damit einhergehen?
Mögliche Fragestellungen könnten folgende Bereiche adressieren:
- Theoretische Auseinandersetzung mit Diversität: Was bedeutet Diversität für die Journalismusforschung? Welchen Stellenwert haben Fragen zu Geschlechterverhältnissen dabei? Welche normativen Ansprüche können aus bspw. feministischen, intersektionalen, postkolonialen, queeren, demokratietheoretischen und machtkritischen Perspektiven abgeleitet werden? Welche Schwächen gehen zugleich mit dem Diversitätsbegriff einher?
- Empirische Erfassung von Diversitätskategorien: Wie können Diversität und Geschlecht in journalistischen Inhalten standardisiert und nicht standardisiert erfasst werden? Welche Herausforderungen gehen damit einher? In welcher Weise eignen sich automatisierte Verfahren dazu und welche Risiken der Essentialisierung bringen sie mit sich? Wie kann die Forschung dabei Angebote für die Medienpraxis entwickeln?
- Repräsentation auf Ebene der Akteur:innen: Welche Exklusionsprozesse führen zu mangelnder Diversität und Geschlechterungleichheit im Berufsfeld? Welche Rolle spielen dabei ökonomische Fragen wie Freiberuflichkeit, Prekarisierung und Gender Pay Gap? Welche Strategien gibt es in Redaktionen, etwas zu verändern? Wie wirken sich verschiedene journalistische Organisationsformen auf die Diversitätsstrukturen aus? Erwünscht sind hier auch international komparative Analysen.
- Repräsentation auf diskursiver Ebene: In welchem Verhältnis stehen ‚klassische‘ journalistische Gütekriterien (Quellen- und Meinungsvielfalt; Vielfalt an Darstellungsformen) zu Ansprüchen an Diversität? Wer gilt als legitime:r Sprecher:in? Wem wird der Status als Expert:in zugeschrieben? Welche Themen und Lebensrealitäten erfahren Priorität? Welche Rolle spielen news recommender systems mit Blick auf Diversität in journalistischen Angeboten?
- Wirkungen medialer Repräsentation: Wie wirkt sich die (Mis-/Unter-)Repräsentation auf Einstellung, Wahrnehmung und Verhalten der Rezipient:innen journalistischer Inhalte aus? Lassen sich Folgen auf einer gesellschaftlichen Makro-Ebene nachzeichnen?
- Partizipation: Welche neuen Akteur:innen und (digitalen) Formate treten auf? Welche Ansprüche an Diversität und Geschlechtergerechtigkeit erheben neue Akteur:innen wie Social Media Content Creators und werden sie diesen gerecht?
- Policies: Welche Strategien, Methoden und Werkzeuge haben sich in der journalistischen Praxis zum Monitoring von Diversität und Geschlechterverhältnissen etabliert? Was sind Strategien zur Veränderung? Wie lässt sich die Situation in Deutschland im internationalen Vergleich beschreiben?
- Selbstreflexion: Wie divers ist die Journalismusforschung? Wer macht Journalismusforschung und welche normativen Ansprüche werden dabei gestellt?
Formate
Um die Tagung abwechslungsreich zu gestalten, laden wir dazu ein, Beiträge für eines der folgenden Formate einzureichen:
1) Klassischer Vortrag
Hierbei handelt es sich um den klassischen, ca. 15-minütigen Vortrag mit Präsentation im Rahmen eines Panels mit anschließender kurzer Frage- und Diskussionsrunde. Diese Präsentationsform eignet sich gut für bereits abgeschlossene Forschungsprojekte, bei denen Ergebnisse präsentiert und eingeordnet werden können, sowie für theoretische Beiträge.
2) Pitch & Poster
Bei der Pitch & Poster Session handelt es sich nicht um eine reine Posterpräsentation, sondern um ein interaktives Format, bei dem die Poster zu Beginn der Session von den Präsentierenden vor dem gesamten Tagungspublikum „gepitcht“ werden. In zwei Minuten soll dabei nicht auf konkrete Ergebnisse o. ä. eingegangen werden, sondern v.a. auf das Innovationspotential, die zu schließenden Forschungslücken und Herausforderungen des vorgestellten Projekts. Dieses Format eignet sich hervorragend für noch nicht abgeschlossene Projekte oder solche, bei denen die Ergebnisse Anschlussforschung nahelegen.
3) Panel
Panels sollten aus vier bis fünf thematisch kohärenten Einzelbeiträgen bestehen und eine Diskussion anschließen. Die Dauer eines Panels beträgt 90 Minuten. Panels eignen sich für die Präsentation großer Forschungsprojekte mit mehreren Beteiligten bzw. thematisch zusammenhängende Einzelforschungen.
4) Offene Formate
Es gibt außerdem die Möglichkeit für offene Formate wie beispielsweise Fishbowls oder World Cafés. Dabei können zentrale Fragestellungen des Tagungsthemas ergebnisoffen diskutiert werden. Für die offenen Formate stehen 90 Minuten zur Verfügung.
5) Beiträge für ein offenes Panel „Journalismusforschung/ Medien, Öffentlichkeit, Geschlecht“
Beiträge jenseits des Tagungsthemas können als einzelne Vortragsangebote für ein offenes Panel eingereicht werden. Die Beiträge sind entsprechend zu kennzeichnen. Es ist für die Tagung ein 90-Minuten-Panel geplant. Die Beiträge werden gesondert begutachtet.
6) Workshop für Early-Career-Researchers / Kolloquien
Im Kontext der Tagung wird es Workshopangebote für Early-Career-Researchers der beiden Fachgruppen geben. Über Einreichungsmodalitäten zu diesem Format wird gesondert in einem entsprechenden Call der Fachgruppen und Early-Career-Gruppen informiert.
Formalia und organisatorische Hinweise
- Den Link zum Conference Tool finden Sie hier.
Extended Abstracts zur Fachgruppentagung können bis zum 01. März 2024 anonymisiert in elektronischer Form als PDF über die Plattform ConfTool eingereicht werden. Beiträge können in englischer oder deutscher Sprache unter Angabe des gewünschten Formats verfasst sein. Die Abstracts sollen einen Umfang von 4.000–6.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen und Quellenangaben) für klassische Vorträge und maximal 4.000 Zeichen für Pitch & Poster sowie die offenen Formate haben. Ein Panel-Vorschlag umfasst ein Abstract von max. 3.000 Zeichen zum Panelthema, der Relevanz für das Tagungsthema und zur Verbindung der Einzelpaper, sowie jeweils ein Abstract von max. 1.500 Zeichen zu jedem Panel-Beitrag. Bitte benennen Sie in Ihrem Panel-Vorschlag alle Beitragenden sowie eine Person als Moderator:in.
Bitte beachten Sie, dass die Einreichungen bisher weder in englischer Sprache auf einer internationalen Tagung noch auf einer anderen nationalen Tagung präsentiert worden oder bereits veröffentlicht sein dürfen. Es gelten die Richtlinien zu Doppeleinreichungen der Fachgruppen. Insbesondere müssen Einreichende bestätigen, dass der Beitrag in dieser Form nicht bereits in einer Publikation veröffentlicht oder auf einer wissenschaftlichen Tagung präsentiert wurde. Die Vorschläge werden in einem anonymisierten Review-Verfahren begutachtet. Bitte anonymisieren Sie Ihren Beitrag, indem Sie alle die Autor:innen identifizierenden Angaben aus Text und Dokumenteneinstellungen entfernen. Vortragende werden bis voraussichtlich 30. April 2024 informiert. Die Begutachtungskriterien umfassen Passung zum Tagungsthema, Relevanz, theoretische Fundierung, methodische Angemessenheit, Verständlichkeit und Klarheit. Die Organisator*innen der Konferenz behalten sich das Recht vor, Einreichungen ohne klaren Bezug zum Konferenzthema in Absprache mit den Fachgruppensprecher:innen auch ohne Peer Review abzulehnen
Verantwortliche des Instititut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der FU Berlin
Fachgruppensprecher:innen DGPuK
- Christian Nuernbergk & Valerie Hase (Journalistik/ Journalismusforschung)
- Raik Roth & Yener Bayramoğlu (Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht)
Ort und Zeitrahmen
Die Tagung wird am Mittwoch abends mit einem Get together beginnen. Am Donnerstag sind wir ganztägig im Haus von Deutschlandfunk Kultur. Am Freitag finden Panel-Sitzungen an der Freien Universität Berlin statt und die Tagung endet mit einem Mittagsimbiss.
Literatur
- Klaus, E. (1998). Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung: zur Bedeutung der Frauen in den Massenmedien und im Journalismus. Westdeutscher Verlag.
- Köhler, T. (2020). Positionen und Forschungsskizzen: Mangelnde Diversität bedroht den Journalismus. Zeitschrift für Diversitätsforschung und -management, 5(2), 230–234. https://doi.org/10.3224/zdfm.v5i2.16
- Krüger, U., & Seiffert-Brockmann, J. (2018). „Lügenpresse“ – Eine Verschwörungstheorie? Hinter-gründe, Ursachen, Auswege. In H. Haarkötter & J.-U. Nieland (Eds.), Nachrichten und Aufklärung Medien- und Journalismuskritik heute: 20 Jahre Initiative Nachrichtenaufklärung (pp. 67–88). Springer VS.
- Lünenborg, M., & Medeiros, D. (2021). Redaktionen dekolonisieren! Journalismus für die Einwanderungsgesellschaft. In H. Dilger & M. Warstat (Eds.), Umkämpfte Vielfalt: Affektive Dynamiken institutioneller Diversifizierung (pp. 95–115). Campus Verlag.
- Neverla, I. (2017). “Lügenpresse”: Begriff ohne jede Vernunft? Eine alte Kampfvokabel in der digitalen Mediengesellschaft. In V. Lilienthal & I. Neverla, Lügenpresse. Anatomie eines Kampfbegriffs (pp. 18–44). Kiepenheuer & Witsch.