Nicht im Zentrum der Proteste? Neubesetzung, Praxisnähe und Pressekonzentration
Wochen nach dem Attentat auf Rudi Dutschke und der Empörung vor dem Springer-Hochhaus, war auch für Studierende der Publizistik das Maß voll. Eine Vollversammlung beschloss die Bestreikung aller Lehrveranstaltungen am Institut. Dieser Protest richtete sich gegen die Philosophische Fakultät und die Studienbedingungen.
Ein Streik
Auf Anregung von Fritz Eberhard hatte die Philosophische Fakultät 1965 eine Berufungskommission eingesetzt. Sie sollte die reguläre Besetzung des Lehrstuhls herbeiführen. Es folgten drei Jahre, in denen nicht nur Emil Dovifat und Fritz Eberhard versuchten, ihre Vorstellungen vom Fach durchzusetzen, sondern auch die anderen Fächer der Fakultät. Über zwanzig Namen waren im Gespräch. Auf einer Fakultätssitzung im Februar 1967 sprach sich Fritz Eberhard dafür aus, den Chefredakteur von Radio Bremen zu berufen. Sein Plädoyer für Harry Pross wurde unterbrochen, als die Fachschaft um Fritz Teufel, Nebenfachstudent der Publizistik, lärmend Zugang zur Fakultätssitzung verlangte. Die Studierenden unterstützten Eberhards Vorschlag. Der Journalist Harry Pross schien ein praxisnahes Studium zu versprechen – ein ausdrücklicher Wunsch der Studierenden. Dass Pross sich außerdem gegen die Notstandsgesetze engagiert hatte, über die Zeit vor und nach Hitler und die Dialektik der Restauration geschrieben hatte, „klang uns Studierenden wunderbar sympathisch“, erinnerte sich Publizistik-Student Ulrich Pätzold. Kommissions- und Fakultätsmitglieder zweifelten hingegen an der Wissenschaftlichkeit des Kandidaten. Als bis Ostern 1968 immer noch keine Bewegung in das Verfahren gekommen war, kam es zum Streik. Bei Rektor Ewald Harndt trafen gleich zwei Resolutionen ein. Die Forderungen: schnellstmögliche Besetzung und mehr Mitbestimmung. Störaktionen bei Bewerbungsvorträgen folgten. Nachdem schließlich eine Liste mit Pross auf Platz 1 verabschiedet war, endete der Streik, aber nicht das Engagement. Ein gemeinsam mit dem Mittelbau verfasstes Memorandum an den Akademischen Senat warb um Zustimmung zur Liste, die Senatoren bekamen Besuch. Im Wintersemester 1968/69 nahm Harry Pross die Lehre auf.
Das Feindbild Springer
Die institutionelle Krise war nur ein Anliegen der 68er in der Publizistikwissenschaft, wenn auch ein Kristallisationspunkt ihres Unmuts. Neben der Demokratisierung der Universität und Nord-Süd-Konflikten ging es ihnen um die Macht der Medien. Von den Attacken der Berliner Presse war die Studentenbewegung selbst betroffen. Der Axel-Springer-Verlag wurde Hauptgegner und bot sich zugleich für eine kritische Analyse gesellschaftlicher Machtverhältnisse an. Diese Analyse fand auch am Institut statt. Dort hatten Studierende die Auseinandersetzung mit Pressekonzentration und Medienmanipulation vermisst. In Arbeitsgruppen entstanden Konturen einer „kritischen Publizistik“. Neben dem Verein Freunde der Publizistik am Institut bildete der Springer-Arbeitskreis der Kritischen Universität ein wichtiges Forum dieses Fachverständnisses. Die Kritische Universität war 1967 als Gegenmodell zur Ordinarienuniversität gegründet worden.
Am Institut: Kein Konfliktpotential?
Sicherlich: Ein „Dahlemer Fenstersturz“ wie dem Politologen Alexander Schwan wurde weder Fritz Eberhard noch Harry Pross angedroht. Lehrende und Studierende hatten vielmehr ein gemeinsames Interesse: die Publizistikwissenschaft erhalten. Auch der Umzug an das Roseneck im Grunewald 1968 dürfte den Zündstoff verringert haben. Das Institut sei ein Nachzügler gewesen, haben damalige Studierende berichtet; kein Brennpunkt von Protestaktionen wie Germanistik, Wirtschaftswissenschaft, Psychologie und Politikwissenschaft. Also keine Auseinandersetzungen? Fritz Eberhard habe in der Philosophischen Fakultät zu der Minderheit der Hochschullehrer gehört, die auf Seiten der Studierenden für Reformprojekte eintraten, erinnerte sich auch Fakultätsmitglied Helmut Gollwitzer. Fritz Eberhard unterstützte eine Inhaltsanalyse zu Berliner Pressekonformität und studentischer Protest. Die Quellen zeugen aber auch davon, dass es nicht nur harmonisch zugegangen ist. Störungen von Lehrveranstaltungen zogen sich bis in die 1970er Jahre hinein. Konfrontativ wurde Lehrenden vorgehalten, sie würden mit dem „falschen politischen Ansatz“ arbeiten. Harry Pross, dessen Bewerbungsvortrag bereits von einer studentischen Aktion unterbrochen worden war, entschied sich bei Dienstantritt gegen jegliche „autoritäre Attitüde“.